Der Spion der Zeit
die Kirche zu gelangen, war Nora Duarte zum Ausgang bei den Dünen gelaufen.
Benet kam blutverschmiert und mit schuldbewusstem Blick heraus gerannt.
Er wurde von drei Schüssen in die Brust getroffen.
V
Das Begräbnis des Henkers Moliner fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Sein Sarg glitt an den Seilen in eine drei Meter tiefe Grube. (Man hatte eine größere Tiefe gewählt als üblich.) Nur die direkten Angehörigen waren zugelassen. Moliners Frau hatte um Erlaubnis gebeten, die beiden Hunde mitzubringen, die die gesamte Zeremonie mit ihrem Gebell übertönten. Nach der Beerdigung blieben drei Männer als Wache bei dem Erdhügel. Sie hatten den Befehl, keine Einzelperson und keine Gruppe an das Grab zu lassen; im Notfall unter Einsatz von Waffengewalt.
Die Regierung kümmerte sich um alle Formalitäten. Sogar der Sarg war ein Geschenk. Der Minister persönlich hatte sich darum gekümmert, wie er auszusehen hatte: außen Eiche, innen Stahl. Er ließ nachfragen, welche Legierung normalerweise verwendet wurde. Man gab ihm eine Erklärung, die er nicht verstand. Er fragte, ob es nicht eine widerstandsfähigere Legierung gäbe, das Metall sollte härter sein als üblich. Man empfahl ihm Gussstahl, weshalb der Sarg am Ende so schwer war, dass man weitere Männer und zusätzliche Seile benötigte.
Der Minister wollte keinerlei Risiko eingehen.
Zu Benets Beerdigung erschien niemand außer der Presse.
VI
Nora Duarte erledigte alle Formalitäten des Falles. Sie verfasste seitenweise Berichte. Der nüchterne bürokratische Stil sorgte dafür, dass sie die bedeutsamsten Details der Szene für sich behielt; niemals hätte sie diese in Worte fassen können, ohne dabei ins Melodramatische abzugleiten.
So konnte sie in ihrem Bericht zum Beispiel nicht die Panik erwähnen, die sie befallen hatte, als Benet mit blutroten Händen und offensichtlich unter Schock stehend in den Dünen aufgetaucht war. Es herrschte völlige Dunkelheit. Sie war durchnässt vom Regen und zitterte. In ihren Händen bebte die Waffe, als hätte sie ein Eigenleben.
Sie konnte in ihrem Bericht nicht Benets Blick beschreiben, der überrascht und zugleich beschämt war, sie dort zu sehen – wie ein kleiner Junge, den man in flagranti ertappt hat –, und ihr die roten Hände entgegenstreckte.
Sie konnte den Ton nicht beschreiben, in dem Benet zu ihr gesagt hatte: »Er ist tot, es ist meine Schuld, es ist eine Falle.« Weinerlich, vielleicht?
Sie konnte Benets Gesichtsausdruck nicht beschreiben, in dem Moment, als er die Arme ausbreitete und auf die Mündung der Waffe zustolperte, die Nora in der Hand hielt.
Auch fand sich nichts über die – gelinde gesagt merkwürdigen – Begebenheiten in Benets letzten Stunden in Noras Bericht. Der Vorfall im Gefängnis blieb ein Rätsel. Warum hatte er diesen Häftling geschlagen? (Der Mann lag im Koma im Krankenhaus, man konnte ihn nicht befragen.) Und wer hatte sich beim Gefängnisdirektor für Benet verwendet und veranlasst, dass er sofort ohne jede Befragung entlassen wurde? Es musste jemand sehr Mächtiges gewesen sein. Jemand, dachte Nora, der so groß war, dass er sein Handeln nicht zu rechtfertigen brauchte.
Ein Anruf des Polizeichefs drängte sie zur Eile. Er brauchte den Bericht. Sie werde das bestimmt verstehen, Druck von allen Seiten. Nora sagte, es fehlten noch ein paar Einzelheiten, und der Polizeichef befahl ihr, sie solle sich auf die Geschehnisse beschränken, an denen sie beteiligt gewesen sei.
Nora gehorchte widerspruchslos. Als der Polizeichef ihr mitteilte, der Minister wolle sie sehen, schlug sie die Einladung aus.
Der Polizeichef war sprachlos. Aber das dicke Ende kam erst noch.
Nora sagte ihm, sie wolle unter Verzicht auf ihre Pensionsansprüche den Polizeidienst quittieren. Sie sei fest dazu entschlossen.
Der Polizeichef drohte, bettelte und flehte, doch sie ließ sich nicht davon abbringen.
VII
Nachdem sie das Polizeipräsidium verlassen hatte, marschierte Nora an den Presseleuten vorbei, die ihr Haus belagerten, und schloss sich in ihrer Wohnung ein. Sie ließ die Rollläden herunter und zog den Stecker des Telefons aus der Dose. Am vierten Tag ihres Rückzugs waren nur noch ein paar Fotografen übrig.
Das Leben ging weiter.
Eines Morgens klopfte es wieder an ihre Tür. Sie hatte sich daran gewöhnt und bemerkte das Hämmern schon gar nicht mehr, und so wurde sie erst hellhörig, als sie Nadals Stimme erkannte, der sie bat, aufzumachen und ihn
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