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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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Oper und saß im Taxi. Aber ich wußte, daß ich mich nicht getäuscht hatte.«
    »Schön, Ihre Stimme nach so langer Zeit wiederzuhören, Veronica«, sagte er und wurde sich erst in diesem Moment bewußt, daß sie sich siezten. »Was machen Sie denn hier in Wien?«
    »Ich wohne hier«, antwortete sie schlicht.
    »Es ist schon über acht Jahre her …«
    »Ja, fast neun.«
    »Was für ein außergewöhnlicher Zufall, daß wir uns so wiedergetroffen haben«, sagte er und versuchte dabei Begeisterung in seine Stimme zu legen. Aber er glaubte nicht an den Zufall und schon gar nicht an eine Übereinstimmung. »Ich möchte Sie gern wiedersehen. Geht das?« fragte er zögernd.
    »Ja, gewiß.«
    »Paßt es Ihnen morgen? Wir könnten im Sacher zu Mittag essen, so um eins.«
    »Mit Vergnügen.«
    »Veronica …«
    »Ja?«
    »Ich bin froh, Sie wiedergefunden zu haben.«
    »Ich auch«, sagte sie leise. »Gute Nacht.«
    Ogden legte den Hörer behutsam auf, öffnete seinen Hemdkragen und legte sich aufs Bett. Neun Jahre waren vergangen, aber so lange konnte das nicht sein, wenn er sich immer noch so genau an sie erinnerte.
    An jenem Abend in Genf war er erst spät in den Speisesaal gegangen. Sie saß allein an einem Tisch in der Nähe der Glasfront. Draußen regnete es, die Lichter auf dem Quai des Bergues beleuchteten die Autos, die bei diesem Regen nur langsam fuhren. Er hatte den Tisch neben ihr; eine Anordnung, die er kurz zuvor mit Hilfe eines guten Trinkgelds getroffen hatte.
    Das Mädchen trug ein enganliegendes schwarzes Jerseykleid und eine Perlenkette, die ihr Gesicht aufhellte. Selbstvergessen schlürfte sie in kleinen, lustlosen Schlucken eine Crème de volaille. Er fand sie sehr begehrenswert.
    Dann war der Maître an ihren Tisch gekommen und hatte ihr etwas zugemurmelt, darauf hatte sie mit zögernden Schritten den Speisesaal verlassen. Wenige Minuten später war sie an ihren Tisch zurückgekehrt, hatte aber die Crème de volaille nicht beendet. Sie hatte eine Zigarette aus dem Marlboro-Päckchen genommen und dann angestrengt etwas in ihrer Tasche gesucht. Da hatte er sich ihr mit einem Streichholz in der Hand genähert.
    Sie hatte den Blick erhoben, gelächelt und sich über die Flamme gebeugt.
    »Danke, ich habe mein Feuerzeug wohl im Krankenhaus liegen lassen.«
    Sie sprach korrektes Französisch, mit einem leichten und angenehmen italienischen Akzent.
    »Das kommt vor; Feuerzeuge sind dazu geschaffen, daß man sie liegen läßt, genau wie Schirme«, hatte er gesagt, die Streichhölzer wieder eingesteckt und war an seinen Tisch zurückgekehrt. Er hatte bemerkt, daß ihre braunen Augen einen ganz ungewöhnlichen Farbton hatten, sie waren fast bernsteinfarben.
    »Hoffentlich nichts Schlimmes, Sie sprachen von Krankenhaus.«
    Sie hatte ihn etwas unsicher angesehen.
    »Mein Mann wird morgen operiert.«
    »Entschuldigen Sie, ich wollte mich nicht aufdrängen.«
    Sie hatte ein Lächeln angedeutet, und das hatte ausgereicht, um ihn zu ermutigen.
    »Sind Sie schon lange in Genf?« hatte er gefragt, obwohl er die Antwort schon wußte.
    »Nein, wir sind gestern angekommen.«
    So hatte sie angefangen zu reden, anfangs langsam, dann immer schneller, fast atemlos. Sie waren am Vortag von Mailand abgereist. Am Abend hatten sie im Lion d’Or gegessen, das letzte Abendessen vor der gefährlichen Operation – und am Morgen hatte sie ihren Mann ins Krankenhaus begleitet, wo er einen Monat bleiben mußte. »Falls er überlebt«, hatte sie leise hinzugefügt und durch die Fenster, an denen das Regenwasser in Streifen herunterlief, hinausgesehen.
    Mit zitternden Händen hatte sie noch eine Zigarette herausgenommen, und er war wieder aufgestanden, um ihr Feuer zu geben. Als er vor ihr stand, hatte er gesehen, daß sie Tränen in den Augen hatte, die aber nicht über die Wimpern kamen. Er hatte sie, noch zu weit von der Zigarette entfernt, mit dem brennenden Streichholz in der Hand betrachtet, bis er sich die Finger verbrannte. Dann hatte er sich ihr gegenübergesetzt.
    »Nur Mut, es wird schon gut gehen«, hatte er gesagt, und noch nie waren ihm Beruhigungsworte so idiotisch erschienen. Sie hatte zu lächeln versucht.
    »Es ist sonst nicht meine Art, Fremde mit meinen Schwierigkeiten zu behelligen«, hatte sie sich entschuldigt. »Aber es ist alles so schwierig …«
    Er hatte ihr ein Kleenex gereicht, und da hatte sie wirklich gelächelt. Er wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das Gespräch fortzusetzen, und erfand

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