Der Spion und der Analytiker
zusammenzuarbeiten, anstatt hier den Spion zu spielen. Haben Sie sich denn noch nie überlegt, warum wir Sie unter unsere Fittiche genommen haben? Weil Ihre Patientin früher oder später versuchen könnte, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Sie dürfen mir glauben, daß es für uns einfacher und weniger aufwendig wäre, Sie so lange irgendwo hinter Schloß und Riegel zu setzen, bis die ganze Sache erledigt ist.«
Guthrie hob einlenkend die Hände.
»Ich bin Psychoanalytiker und kein Spion, und ich brauche Zeit, um mich an all das zu gewöhnen. Wie geht das mit Renn jetzt weiter?«
»Er wird froh sein, daß er noch lebt, in dem Zustand ist man nicht mehr sehr neugierig. Wir werden ihm erzählen, daß wir ihn mit einem anderen verwechselt haben; was ja sogar stimmt, aber er wird nie erfahren, daß dieser andere Sie waren.«
Guthrie lächelte.
»Renn wird weder seinen analytischen Verstand noch seinen bemerkenswerten Intelligenzquotienten brauchen, um dieses Abenteuer mit dem Gefallen in Zusammenhang zu bringen, den er mir erwiesen hat …«
»Mag sein, aber es bleibt uns keine andere Wahl.«
»Nun erzählen Sie mal, was man mit Ihnen angestellt hat«, sagte Guthrie mit einem leicht schadenfrohen Unterton.
Ogden sah ihn verblüfft an, ohne zu verstehen, was er meinte.
»Ich bin von einem Dilettanten an der Nase herumgeführt worden. An so etwas bin ich nicht gewöhnt.«
Guthrie schüttelte den Kopf.
»Das meine ich nicht. Ihr Gesichtsausdruck hat sich verändert, kaum merklich, aber doch. Gestatten Sie einem angesehenen Psychoanalytiker, der seine Arbeit auf die Charakteranalyse gründet, dies zu bemerken.«
Ogden zuckte mit den Schultern.
»So weit ich weiß, Doktor«, sagte er langsam, »beginnt die Gegenübertragung des Psychoanalytikers in dem Augenblick, in dem er in Mitleidenschaft gezogen wird: peinlicher Begriff, Mitleidenschaft. Haben Sie vor, diese Ihre Schwäche produktiv einzusetzen? Für ein Abenteuer, versteht sich …«
Guthrie schüttelte den Kopf.
»Sie haben gewiß ein sehr schlechtes Verhältnis zu Ihrem Vater gehabt.«
»Natürlich«, gab Ogden verstimmt zu, »wie alle Ihre Patienten, und werfen Sie mich jetzt bitte nicht mit denen in einen Topf, zumindest vorerst. Aber lassen wir jetzt meine Familienverhältnisse …«
Guthrie lächelte.
»Ich sprach nicht von Ihren Familienverhältnissen, ich sprach von dem, was hier und jetzt geschieht. Jedenfalls sehe ich die Gegenübertragung – die ja eine Übertragung voraussetzt – nicht als etwas Negatives an. Doch lassen wir das. Geben Sie mir jetzt Anweisungen für die unmittelbare Zukunft. Ich muß wieder in den Konferenzsaal.«
»Seien Sie vorsichtig, auch wenn wir da sind. Und ergreifen Sie keinerlei Initiativen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Vollkommen klar.«
»Ich rufe Sie heute abend an«, sagte Ogden und hielt Guthries Hand fest. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Doktor«, fuhr er fort. »Ich schätze Sie sehr und möchte Sie möglichst schadlos aus dieser Geschichte herausbringen.«
Guthrie machte eine zustimmende Geste und wandte sich dem Vortragssaal zu.
Guthrie verließ die Universität rechtzeitig für die Sitzung mit seinem neuen Patienten: einem Mann mit ruhiger und freundlicher Stimme, der ihn am Vortag angerufen und um einen Termin gebeten hatte. Er wurde von einem Kollegen geschickt, aber Guthrie hatte bis jetzt noch keine Zeit gehabt, Dr. Dietrich anzurufen, um sich dies von ihm bestätigen zu lassen. Er nahm sich vor, es gleich nach seiner Ankunft zu tun, aber dann blieb er im Verkehr stecken und konnte den Patienten erst mit fünfminütiger Verspätung empfangen. Er entschuldigte sich und sah unauffällig in seinem Notizbuch nach dem Namen: Stuart.
Ein eleganter Mann um die vierzig, der sich lächelnd in den Sessel setzte, den Guthrie ihm anbot.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Doktor«, sagte er, während er sich niederließ. »Ich habe unterwegs selbst gesehen, was für ein Verkehr in Wien herrscht.« Er lächelte noch immer mit den Augen, die er amüsiert zusammenkniff. »Ich war schon seit Jahren nicht mehr in dieser Stadt, doch ich habe als Junge hier gelebt.«
»Sie sagten, Dr. Dietrich habe Sie an mich verwiesen …«
Der andere nickte.
»Gewissermaßen ist es so, auch wenn ich nicht meinetwegen hier bin, sondern um mit Ihnen über eine Person zu reden, die mir sehr nahesteht und die Hilfe braucht.«
»Dann handelt es sich wohl um einen Angehörigen.«
»Ja, auch
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