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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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fragte Guthrie am Ende seiner Geduld, was seinem Ton anzumerken war.
    »Ogden ist, wie gesagt, der beste Agent des Dienstes«, sagte Stuart, und dieses Zugeständnis schien ihm nicht leicht zu fallen. »Und da der Dienst das Beste ist, was der Markt zu bieten hat, bedeutet dies, daß er wirklich Spitzenklasse ist. Casparius hat ihn zur Nummer eins erzogen. Wahrscheinlich stimmt es, daß man die besten Resultate erzielt, wenn man seinen Agenten schon in der Wiege anwirbt.«
    »Und Sie, wann sind Sie denn angeworben worden?« fragte Guthrie. »Im Kindergarten? Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich Ihnen auch nur ein Wort glaube …«
    Stuart lachte.
    »Sie sind wirklich ein außergewöhnlicher Mann«, sagte er und sah ihn bewundernd an. »Hat Ogden Ihnen nichts von sich erzählt?«
    »Ich habe nie gesagt, daß ich einen Mann dieses Namens kenne.«
    »Richtig.« Stuart nickte, als hätte er diese Antwort erwartet, und fuhr unbeirrt fort: »Ich dachte, in seiner Lage … Aber lassen wir das, der Computer ist den Dingen wohl schon vorausgeeilt. Es ist wahrscheinlich oder vielmehr sicher, daß Ogden Ihnen dieser Tage von sich und seiner Vergangenheit erzählen wird. Was ich Ihnen zu Beginn unseres Gesprächs gesagt habe, stimmt: sein Vater starb, als er noch ein kleines Kind war, aber der Oberst und Casparius waren nicht befreundet; hätte der Chef nicht einige sehr interessante Fähigkeiten an ihm entdeckt, hätte er sich gewiß seiner nicht angenommen. Ogden hat praktisch keine Kindheit gehabt. Das kommt bei hochbegabten Kindern oft vor, und er war ein solches. Es gäbe da ein paar psychoanalytische Begriffe zur Beschreibung der psychischen Verfassung meines Kollegen, aber sie sind alle unangenehm und geben wenig her. Im übrigen«, setzte er hinzu, während er Guthrie voller Interesse beobachtete, »haben Sie ja Ihre Anamnese schon gemacht.«
    Guthrie wollte etwas erwidern, aber Stuart hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
    »Warten Sie, lassen Sie mich bitte ausreden. Für Ogden gäbe es dank seiner eisernen Kompensation keine Probleme dieser Art, wenn ihm nicht vor neun Jahren etwas passiert wäre. Wir hatten gehofft, daß er über die Sache hinweg sei, aber jetzt haben wir allen Grund zu der Annahme, daß dies nicht der Fall ist. Es besteht die Gefahr, daß das alte Trauma wieder aufbricht, und zwar mit Folgen, die, gelinde gesagt, katastrophal wären.«
    Stuart stand nun am Fenster und blickte auf den kleinen Platz hinaus.
    »Doktor, in dieser mehr als unheilvollen Geschichte gibt es nur ein einziges positives Element: Sie. Daß hier ein Psychoanalytiker mit hineingezogen worden ist – einer wie Sie natürlich, mit Ihren Kollegen könnten wir nicht viel anfangen –, könnte von entscheidendem Einfluß in dieser ungewöhnlichen Situation sein.«
    Guthrie zuckte mit den Schultern.
    »Sie wissen genau, was wir suchen: die Welt hat es eilig, und noch eiliger haben es die Vereinigten Staaten, unsere Auftraggeber. Ogden muß in Hochform sein, und dazu können Sie entscheidend beitragen.«
    »Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden.«
    Stuart überhörte seine Worte.
    »Sie werden das tun, was Sie immer getan haben, mit einer kleinen Variante, die für Sie eine ungewöhnliche Erfahrung sein könnte: Ogden wird Sie mit seinen Kompetenzen unter Kontrolle halten, und Sie werden mit den Ihren umgekehrt Ogden unter Kontrolle halten.« Er lächelte wie ein erfolgreicher Handelsvertreter. »Wir verlangen von Ihnen nur, einer Person, die Ihnen nicht unangenehm ist, psychologische Hilfestellung zu bieten. Im Grunde entspricht das doch Ihrem Handwerk …«
    Guthrie äußerte nichts.
    »Ogden hat sich vor neun Jahren in ein Mädchen verliebt, das er in Genf kennengelernt hat. Ein beklagenswerter Fall: eine junge Frau mit einem todkranken Mann, der dann tatsächlich kurz darauf starb. Die Geschichte dauerte nur l’espace d’un matin , aber bekanntlich spielt die Zeitspanne in gewissen Fällen keine Rolle. Ogden war so vernünftig, auf grob unhöfliche, aber heilsame Weise die Flucht zu ergreifen. Heute haben wir allen Grund zu der Annahme, daß sich diese Frau in Wien aufhält und er sie wiedergesehen hat. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß eine neuerliche Gefühlsverwirrung für ihn wie für uns in einem Augenblick wie diesem eine Katastrophe wäre.«
    »Übertreiben Sie da nicht ein wenig?« fragte Guthrie möglichst ironisch.
    Stuart sah ihn kühl an.
    »Sehen Sie«, sagte er in belehrendem, geradezu herablassendem Ton,

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