Der Spion und der Analytiker
Sie, ich frage meine Frau. Vielleicht weiß sie etwas.«
Als sie allein war, sah sich Veronica die Briefkästen an. Der ihre, Nummer zehn, trug einen anderen Namen.
Der Portier kam schnell zurück. Er ist nicht sehr mutig, dachte Veronica, als sie sah, wie er ihren Blicken auswich, während er sich darauf vorbereitete, ihr eine vermeintlich überraschende Auskunft zu geben.
»Die Manteros wohnen nicht mehr hier.« Endlich richtete sich sein unruhiger Blick auf sie. »Der Mann ist gestorben, und die Adresse der Frau haben wir nicht.«
Veronica fand es unerträglich, daß dieser Mensch ihr mit neunjähriger Verspätung den Tod ihres Mannes ankündigte.
»Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen«, murmelte sie. »Ich hätte meine Freundin gern besucht. Wer wohnt jetzt in ihrem Appartement?«
Der Mann hob den Kopf und sah zur Decke, als wäre er fähig, mit seinem Blick durch alle Mauern hindurch auch das Dachappartement zu erfassen. »Die Wohnung wird jetzt verkauft, die Familie, die bis jetzt drin war, ist letzten Monat ausgezogen. Aber die bleibt nicht lange leer, dies hier ist eine sehr begehrte Gegend.«
Veronica hörte ihm nicht mehr zu, die Nachricht, daß sich in ihrer Wohnung keine fremden Menschen befanden, hatte sie in einen Zustand der Erregung versetzt, den sie kaum verbergen konnte. Sie dankte dem Portier und ging schnell hinaus. Auf der Straße blieb sie stehen, atmete tief durch und stieg dann in das Taxi, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Der Wagen fuhr an und ordnete sich in den Verkehr ein. Der Fahrer sah hin und wieder in den Rückspiegel. Als er bemerkte, daß sie vergebens etwas in ihrer Tasche suchte, drehte er sich um und reichte ihr ein Zigarettenpäckchen und ein Feuerzeug. Veronica dankte ihm, ohne den Blick zu heben. Sie weinte.
Als sie in der Nähe des Stadtparks waren, sah der Fahrer, daß das graue Auto noch immer hinter ihnen war. Er hatte es bereits auf der Flughafenallee bemerkt, obwohl es einen gewissen Abstand einhielt. Er hatte eine Schwäche für Mercedeswagen und schon oft daran gedacht, sich einen gebrauchten zu kaufen, damit er nicht auch sonntags mit einem mayonnaisegelben Auto herumfahren mußte. Jenes, das ihnen folgte, war genau sein Traumauto: metallic, von der Farbe eines Gewehrlaufs. Während des Aufenthalts an der Piazza hatte er es nicht mehr gesehen, aber jetzt auf dem Wall war es wieder aufgetaucht.
»Signora«, sagte er, in der Hoffnung, keinen Blödsinn zu sagen, »ich glaube, wir werden schon seit dem Flughafen verfolgt.«
Veronica drehte sich um und sah durchs Heckfenster.
»Ein grauer Mercedes«, fuhr der Fahrer fort, »hinter uns, neben diesem Bus.«
Veronica nickte.
»Ja, ich habe ihn gesehen. Fahren Sie nicht zum Hotel, sondern kurven Sie durch die Stadt. Wie hoch ist der Fahrpreis bis jetzt?«
»Fünfundzwanzigtausend. Das ist der Flughafentarif.«
»Gut«, fiel ihm Veronica ins Wort und streckte ihm einen Hunderttausendlireschein entgegen. »Fahren Sie noch eine Weile herum und versuchen Sie, ihn abzuhängen, wenn Sie können.«
Veronica lehnte sich im Sitz zurück und schloß die Augen. Sie war todmüde, jeder Muskel ihres Körpers tat weh, und ihr Kopf war wie benebelt; aber sie konnte jetzt einfach nicht aufgeben. Nicht, weil sie vor dem Tod oder vor dem Schmerz, der diesen gewiß begleiten würde, Angst gehabt hätte, sondern einfach deshalb, weil sie das Gefühl hatte, ihr ganzes Leben lang immer nur auf der Flucht gewesen zu sein.
Sie hatte Lasko in einem Zustand schwerer Depression geheiratet, als sie Gefahr lief, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt zu werden. Ein paar Monate nach Manteros Tod hatte sie auf dem Rückweg von einem Nachtlokal, in dem sie mehr als gewohnt getrunken hatte, einen Mann überfahren und Fahrerflucht begangen. Der Mann war sofort tot gewesen, als erschwerende Umstände kamen Fahrerflucht und Trunkenheit hinzu, auch wenn letztere nur mäßig war. So mäßig, daß sie es geschafft hatte, aus dem Auto auszusteigen, festzustellen, daß der arme Mann tot war, und zu fliehen.
Lasko hatte ihr einen anderen Namen, eine andere Stadt, ein anderes Leben geboten und dank seines Geldes auch eine andere Identität. Auf diese Weise hatte er sich in wenigen Monaten von einem gewöhnlichen Verehrer mit mäßigen Erfolgsaussichten in ihren Ehemann verwandelt.
Ihr Leben war völlig verpfuscht. Allzuviel war von klein auf über sie hereingebrochen. Ihre Kindheit hätte Stoff für ein Rührstück hergegeben, dann die
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