Der Spitzenkandidat - Roman
Gelegenheit mit ihm Kontakt aufgenommen.“
„Ist nicht auszuschließen. Aber dass sich ein vorsichtiger Mann wie Stein am späten Abend im dunklen Wald mit einem Unbekannten … Also ich weiß nicht.“
„Es ist auch nicht auszuschließen, dass Schreiber ihm verraten hat, über wen sie miteinander verbunden sind.“
„Stimmt. Das wäre allerdings noch ein Grund, sich nicht mit dem Kerl zu treffen. Stein muss ja gar nicht um sein Leben gefürchtet haben. Ein blaues Auge oder eine dicke Lippe machen sich im Wahlkampf auch nicht gut.“
„Wir werden Schreiber fragen. Vorher will ich noch mit Wagner sprechen. Er hat nebenbei eine Begebenheit erwähnt. Dass ein Bürger Stein auf einer Veranstaltung angesprochen hat und mit ihm in Streit geraten ist.“
Verena griff zum Telefon. Frau Stigler aus der Parteizentrale erwartete gegen zwölf Uhr Wagners Rückkehr von einer Veranstaltung in Wolfsburg. Verena kündigte sich für 12 Uhr 30 an und erfuhr, dass Wagner um diese Zeit zu Tisch zu gehen pflegte. Dann wurde der Hörer aufgeknallt.
„Diese zickige Person kostet die Partei ein Prozent der Stimmen“, murmelte Verena. „Schade, dass sie so gut aussieht. Man traut sich gar nicht, etwas gegen sie zu sagen, weil es einem als Stutenbissigkeit ausgelegt wird.“
Auf dem Weg zur Parteizentrale geriet Verena in einen Stau, eine Baustelle auf der Hildesheimer Straße. Sie ließ einem Fahrer aus einer Nebenstraße die Vorfahrt, damit er sich einreihen konnte. Kein Dankeschön, stattdessen bot er ihr ein übellauniges Gesicht dar. Wenn Eigenschaften Geburtsorte hätten, wäre Hannover die Geburtsstadt der Unfreundlichkeit, dachte sie. Dann löste sich der Stau auf und sie erwischte Wagner vor der Parteizentrale, als er zum Essen gehen wollte. Eine Essenspause hätte ihm gut getan, seit den Staatskanzleimorden hatte er mächtig zugelegt. Und auch damals war er das Gegenteil von einem Hungerleider gewesen. Er erkannte Schreiber auf Anhieb. „Kein Zweifel“, sagte er und tippte eifrig auf die Kopie des Personalausweises von Egon Schreiber. „Das war der Mann, der mit Stein in Streit geraten ist.“ Er schien erleichtert zu sein. Was hatte er wirklich über Stein gewusst, fragte sich Verena und verkniff sich nur mit Mühe die Frage, ob er von Kontakten seines früheren Chefs zu einem russischen Geschäftsmann wusste.
Auf dem Flur der Parteizentrale lief Verena dem Parteivorsitzenden in die Arme. „Na, haben Sie sich ein Beitrittsformular geholt?“, knurrte Bitter.
Verena lächelte krampfhaft, immerhin stand der künftige Ministerpräsident vor ihr.
„Ich gehe einer aussichtsreichen neuen Spur nach“, sagte sie, „deshalb musste ich mit Herrn Wagner sprechen.“
„Ach nee, mit Wagner. Was hat der denn damit zu tun? Wehe, Sie ermitteln gegen unser bestes Pferd im Stall.“ Bitter drohte ihr schelmisch mit dem Zeigefinger und tat vergnügter, als er sich fühlte.
„Es geht um jemanden, der sich mit Herrn Stein gestritten hat, was Herr Wagner zufällig beobachtet hat.“
„Und wer ist der Lebensmüde, der sich mit Stein anlegen wollte?“
„Dazu möchte ich momentan nichts sagen. Es ist einstweilen ein Verdacht, mehr nicht.“
„Na gut. Leitet nicht Hirschmann seit Neuestem die Soko?“
„Das tut er. Aber er kann nicht allen Hinweisen persönlich nachgehen. Wir gehen ihm zur Hand.“ Lange würde Verena ihre freundliche Miene nicht mehr durchhalten.
Bitter lächelte jovial.
„Ich hoffe sehr, dass das LKA endlich Ergebnisse vorlegt. Zu viele faule Säcke in dem Haufen. Bestellen Sie Hirschmann, dass meine Geduld am Ende ist. Er soll endlich den Mörder präsentieren.“
56
Egon Schreiber arbeitete in einer Statikfirma, die auf Brückenbau spezialisiert war. Mittwochs verließ er seinen Arbeitsplatz schon gegen Mittag. Eine ausgesprochen freundliche Frauenstimme aus seinem Büro teilte der Kriminalrätin mit, dass er auf dem Weg nach Ehlershausen sei, wo er Golf spielen würde. Jeden Mittwoch um 14 Uhr, falls nicht etwas ganz Dringendes anlag.
Gegen Viertel vor zwei bog Verena bei herrlichem Sonnenschein in die schmale Einfahrt zum Burgdorfer Golfklub ein. Die in Ehlershausen in einem Waldgebiet gelegene Anlage erinnerte sie an ihren letzten Schwedenurlaub, Tannen und Fichten soweit ihr Auge reichte. Auch das rot gestrichene Klubhaus und die anderen Gebäude waren im Schwedenstil gehalten. Ideales Golfwetter, dachte sie. Wie gerne wäre sie auf eine Runde gegangen, frische Luft, Bewegung und den Kopf
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