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Der Spitzenkandidat - Roman

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Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Sie dachte über mögliche private Motive nach, aber ihr fiel niemand aus dem Freundes- und Bekanntenkreis ein, der in der Nähe des Wolfsgraben wohnte. Zeitweise war die Witwe sachlich wie eine Sekretärin, die in Kalendern blättert; wie ein Zeuge, der sich erinnern will, aber nicht fündig wird. Keine Tränen, keine Verzweiflung. Diese Tatsache fand Verena nicht erstaunlich, jeder Mensch hat seine eigene Art, mit Todesnachrichten umzugehen. Verena hatte alles erlebt: Schreien, Zusammenbrüche, Ohnmachten, sogar hysterisches Lachen. Sie war von Unglücklichen, denen sie die Todesnachricht überbracht hatte, angegriffen worden. Aber es gab auch die, die zu Eis wurden, sie brauchten diesen Schutz, er war ein sinnvoller Egoismus. Aber die Schatten unter den Augen und die tiefen Mundwinkel waren nicht über Nacht entstanden. Diese Frau war unzufrieden, vielleicht unglücklich. Das Leben war nicht nett zu ihr gewesen, Wünsche hatten sich nicht erfüllt, Ziele waren nicht erreicht worden.
    „Sie sind der Mensch, der Uwe Stein am nächsten stand. Wir brauchen Ihre Hilfe. Denken Sie bitte nach, auch Kleinigkeiten helfen uns weiter. Mit wem war Ihr Mann befreundet? Eng und privat befreundet?“
    Die Antwort kam ohne Zögern: „Mein Mann hatte keine engen Freunde, nur Parteifreunde. Mit Alfred Bitter hat er sich eine Zeit lang gut verstanden, aber seit dem Braunschweiger Parteitag herrschte Funkstille. Dann gibt es noch eine Landtagsabgeordnete, Marion Klaßen. Auf die hielt er große Stücke. Sie ist noch jung, erst Anfang dreißig. Sie wissen schon: die neue Politikergeneration, ehrgeizig, effektiv und betont sachlich. Nicht ideologisch, nicht volkstümlich. Politik als Managementaufgabe, nicht als Herzenssache. Und dann sein Wahlkampfmanager, Bernd Wagner. Die beiden haben oft telefoniert. Aber ob das über rein Dienstliches hinausging …?“
    „Was ist mit Jugendfreunden?“
    „Vom Studium, meinen Sie?“
    „Oder noch weiter zurück. Aus der Papenburger Zeit.“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Hat es Streit gegeben? Mit alten Freunden, meine ich?“
    „Nein. Uwe konzentrierte sich auf seinen Beruf, erst auf die Kanzlei, dann auf die Partei. Dafür brannte er. Es ist ja auch eine Zeitfrage.“
    „Wie finden Sie das denn?“
    „Dass er keine engen Freunde hatte? Ich bitte Sie, welcher Mann hat denn Freunde? Nehmen Sie den Alkohol weg und den Sport, was bleibt dann noch? Uwe im privaten Gespräch mit einem Mann – eine spaßige Vorstellung.“
    „Und Feinde? Hatte er Feinde?“
    Die Witwe lächelte, fröhlich sah das nicht aus: „Sie kennen doch den Spruch: Hast du Parteifreunde, brauchst du keine Feinde. Natürlich gibt es in der Partei Neider. Es gibt immer Neider, wenn einer nicht so durchschnittlich ist wie alle anderen. Aber Sie denken doch an einen Mörder oder nicht? Nein, undenkbar. Die Partei hat damit nichts zu tun.“
    Sie erwähnte von sich aus, dass sie früher für den Landesvorsitzenden gearbeitet hatte. Sie idealisierte diese Zeit nicht, aber es war unverkennbar, dass es damals offenbar harmonischer zugegangen war. Kumpelhafter. Mit Alkohol, Tratsch und geselligen Abenden.
    „Apropos: Wie viel hat Ihr Mann getrunken?“
    „Kaum. Ich meine: wenig. Uwe hatte sich immer unter Kontrolle. Deshalb betrachtete ihn die alte Garde ja so skeptisch. Sie hielten ihn für ungesellig. Wenn er sagte: ‚Wer Visionen hat, braucht einen klaren Kopf‘, verstanden sie das nicht.“
    „Und Bitter? Wie sauer war der, als Ihr Mann plötzlich Spitzenkandidat war?“
    „Begeistert war er ganz sicher nicht. Aber er musste es wohl oder übel akzeptieren.“
    „Wie hart war Ihr Mann?“
    Zum ersten Mal ließ sich die Witwe mit der Antwort Zeit. Auf ihrem Gesicht machte sich ein merkwürdiger Ausdruck breit, eine eigentümliche Mischung aus Wut und Angst. Verena hatte ins Schwarze getroffen.
    „Er konnte hart sein. Wenn es sein musste. Er konnte auch weich sein, wenn er seine Tochter sah zum Beispiel. Dann vergaß er sogar die Politik. Aber draußen – oh ja, er konnte knochenhart sein. Er musste das auch. Der Spruch mit dem Ponyhof ist albern, aber nicht falsch. Die Politik ist kein Ponyhof.“
    „Und was ist sie? Ein Folterkeller?“
    Zum ersten Mal hatte sich Verena zu einer weniger sachlichen Bemerkung hinreißen lassen. Die Witwe starrte sie fassungslos an.
    „Nun … Folter … nein, also wirklich. Wie kommen Sie jetzt darauf? So weit würde ich nicht gehen. Entschuldigen Sie mich für einen Moment.“
    Sie

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