Der Spitzenkandidat - Roman
zur Familie Ihres Mannes sagen?“
„Eigentlich nichts. Das können Sie wörtlich nehmen. Uwe hatte keinen Kontakt. Seit unserer Hochzeit hat er niemanden getroffen.“
„Auch die Mutter nicht?“
„Das wundert Sie, nicht wahr? Mich hat es auch gewundert. Er hat es mir nicht weiter erklärt, nur auf ein Zerwürfnis in seiner Jugend hingewiesen. Ich fand ihn etwas verbohrt, fanatisch fast. Man muss auch vergessen können. Aber das konnte Uwe nicht, er hatte das Gedächtnis eines Elefanten. Nein, auch mit seiner Mutter stand er nicht in Verbindung.“
„Und wenn es kein verstandesmäßiger Entschluss war, alle Kontakte abzubrechen? Wenn etwas vorgefallen ist?“
„Das würde es mir leichter machen, Uwe zu begreifen. Aber ich weiß nichts.“
„Sie ahnen etwas.“
„Natürlich macht man sich Gedanken. Es muss etwas sehr Schlimmes in seiner Kindheit oder Jugend vorgefallen sein. Sprechen Sie mit der Mutter. – Was ist? Sie blicken mich so an?“
„Ich will Sie nicht kritisieren …“
„Sagen Sie es schon! Ich weiß, was Sie denken. Sie denken: Wenn sie ihren Mann angeblich so geliebt hat, warum hat sie dann nicht selbst mit der Mutter gesprochen. Ist es so?“
„Sie haben mich ertappt.“
„Sie werden lachen, ich habe es Uwe immer wieder vorgeschlagen. Aber er wollte nicht. Und Extratouren waren bei ihm nicht drin.“
„Wir haben Uwes Handy gefunden. Was ist mit seinem Notebook? In seinem Büro in der Parteizentrale ist es nicht.“
Isabel Stein erhob sich.
„Es ist nebenan – im Gästezimmer. Uwe hat unser Gästezimmer als Büro genutzt. Wir hatten ja auch nie Übernachtungsgäste. Ich bringe es Ihnen. Allerdings sage ich Ihnen gleich, das Passwort kenne ich nicht.“
Nach wenigen Minuten kam sie zurück, händigte Verena das Notebook aus. Es war klein genug, um in ihre Umhängetasche zu passen.
„Wissen Sie, ob Ihr Mann von Extremisten bedroht wurde?“
„Das hat der Parteivorsitzende mich auch schon gefragt. Nicht dass ich wüsste.“
Verena kramte in der Tasche nach dem Silberetui mit ihren Visitenkarten und reichte eine der Witwe. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich unbedingt an. Auch wenn Sie es für nicht wichtig halten. Momentan hilft uns jedes Detail weiter, es gibt kein unwichtiges Puzzleteil. Was das Notebook betrifft, sie bekommen es zurück, wenn die Kriminaltechnik und meine Kollegen von der IuK sich damit befasst haben.“
Die Leiche würde nicht vor Ende nächster Woche freigegeben werden, das musste sie der Witwe schweren Herzens auch noch sagen.
„Übrigens, Frau Stein, spielen Sie Golf?“
„Was? Golf? Nein. Das heißt, ich habe mal einen Schnupperkurs im Urlaub belegt. Ist aber schon viele Jahre her. Das war nichts für mich.“
„Und Ihr Mann?“
„Hat nie gespielt.“
„Sie sagen das so bestimmt.“
„Weil ich’s eigentlich komisch finde. Bei einem wie Uwe sollte man doch annehmen, dass er mit Golf in Berührung kommt. Schon damals, in der Kanzlei. Aber ihn hat es nie interessiert.“
Frau Stein war sichtbar erleichtert, als sie die Besucherin zur Haustür begleitete. Verena nahm ihr das nicht übel. Niemand bekommt gern Besuch von der Mordkommission. Im Vorgarten saß ein blondes Mädchen auf der Schaukel, die Ähnlichkeit mit dem Vater war erstaunlich.
Das Kind rief: „Gibst du mir Schwung? Aber nicht so lahm!“
Verena nannte ihren Namen.
„Ich bin Katharina, aber nur zu Hause. In der Schule bin ich Kathi. – Hast du meine Mami besucht?“
Verena gab ihr einen stärkeren Schubs.
„Du bist hier wegen Papi. Er ist jetzt im Himmel. Gibt es im Himmel Schaukeln?“
Verena blieb eine Antwort erspart, denn die Mutter rief von der Haustür. Die Vorwärtsbewegung nutzend, sprang das Kind in hohem Bogen von der Schaukel und lief ins Haus.
20
Auf der Rückfahrt ließ die Polizistin das Gespräch Revue passieren. Eine disziplinierte, aber vermutlich keine starke Frau. Auch keine glückliche Frau, nicht einmal zufrieden, irgendetwas nagte an ihr. Die Ehe war nicht glücklich gewesen. Kein Wunder, dass Heile-Welt-Storys über die Familie nie erschienen waren. Uwe Stein wäre mit einem Handicap in sein neues Amt gegangen. Ob diese Frau willens und fähig gewesen wäre, Repräsentationspflichten zu übernehmen? Verena hatte Zweifel. Und dann der rätselhafte Sturz. Rechter Arm, linkes Bein. Natürlich konnte man so stürzen. Aber eins kam zum anderen und nichts im Leben der Isabel Stein schien hell und fröhlich. Bis auf Katharina
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