Der Spitzenkandidat - Roman
seitdem die Steins in der Anfangszeit mehrere Einladungen zu einem Glas Bowle oder einem Nachmittag am Grill kurzfristig abgesagt hatten – einige Male waren sie einfach nicht erschienen. Eine Nachbarin erinnerte sich an einen Brunch, zu dem Frau Stein mit der damals noch winzigen Katharina erschienen war. Die Mutter hatte unsicher und schüchtern gewirkt, war schnell wieder gegangen.
Zu möglichen Feinden von Uwe Stein konnte niemand etwas sagen. Man kannte den Politiker einfach nicht genug. „Ich habe ihn häufiger in der Zeitung als in natura gesehen“, hatte ein älterer Mann angegeben, bevor sein Hund dem Beamten auf den Schuh gepinkelt hatte.
Als Nächste meldete sich Inga Schulz zu Wort. Auch ihre Kriminaltechnik und Forensik konnten noch keine nennenswerten Ergebnisse vorweisen. Allerdings stand jetzt fest, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Raubmord stattgefunden hatte. In der Jackentasche des Toten war eine Brieftasche mit 320 Euro gefunden worden. Auch Armbanduhr und Ring hatte der Täter verschmäht, ebenso das Handy. Die Kriminaltechnik war dabei, das Passwort zu knacken, um Zugang zur Mailbox und den zuletzt geführten Telefonaten zu bekommen. Die einzige konkrete Spur bestand in einem ziemlich frischen Fußabdruck am Fundort der Leiche. Größe 42, vermutlich ein Männerschuh, vielleicht auch der Sportschuh einer Frau. Das passte zu der Annahme, dass Stein von einem Golfspieler oder einer Person, die den Golfschwung beherrschte, erschlagen worden war. Die Spurentechnik arbeitete an dem Abdruck.
Verenas Assistentin, Petra Schramm, hatte mit einem Kollegen stundenlang Presseartikel zusammengetragen. In den vergangenen Monaten hatten alle Printmedien über Uwe Stein berichtet. Tagespresse, Magazine, Yellow Press. Die Medien liebten den Aufsteiger und nannten ihn „dynamisch, kreativ, unverbraucht, Hoffnungsträger“. Bei so vielen Berichten konnten auch kritische Hinweise nicht ausbleiben. Die Art und Weise, wie er den Parteivorsitzenden bei der Wahl zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ausgebootet hatte; das Modernisierungsprogramm, das kaltherzig, unsozial und arbeitnehmerfeindlich sei.
Dann war Stollmann erneut an der Reihe. Der Mann war ein Arbeitstier, das dachte man nicht, wenn man ihn in seinem chaotischen Outfit erlebte und seine derben Äußerungen hörte.
„Ich habe hier ein Fax von der Polizei in Papenburg. Uwe wurde vor 40 Jahren in Sögel geboren. Sein Vater hat sich als Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen, zuerst auf einer Werft in Papenburg, später als Arbeiter in einer Friedhofsgärtnerei. Mit Mitte vierzig wurde er arbeitslos und lebte seitdem von Sozialhilfe. Er trank zu viel und verstarb mit Anfang fünfzig. Und jetzt wird es spannend.“
Stollmann blickte in die Runde, bis ihm der erwartungsvolle Pegel behagte.
„Steins Vater wurde auf dem Nachhauseweg von seiner Stammkneipe überfahren, am Küstenkanal, gegen Mitternacht. Als man ihn fand, war er schon tot. Er hatte drei Promille intus.“
„Bedauerlich, aber was ist daran so weltbewegend?“, wollte Hirschmann wissen.
„Der Mann, der ihn überfahren hatte, beging Fahrerflucht. Die Polizei ermittelte ohne Erfolg. Nach einem Jahr Einstellung des Verfahrens. Stein junior wurde mehrfach zum Tatabend befragt. Es gab zarte Hinweise, dass er an der Tat beteiligt gewesen sein könnte. Er war damals 16, also alt genug, um ein Auto zu lenken.“
„Wenn auch ohne Führerschein“, stellte Verena klar.
„Wenn auch ohne Führerschein. Aber es gibt viele Jugendliche, die ohne Führerschein Auto fahren, und auf dem flachen Land gibt es von denen mehr als in der Stadt.“
„Dünn, Kollege, sehr dünn“, knurrte Hirschmann. „Am ersten Tag nach dem Mord sind wir ja wohl hoffentlich noch nicht verzweifelt genug, um solche Dinge ernst zu nehmen.“
„Hatte ich die Aufgabe übernommen, mich um Steins familiären Hintergrund zu kümmern oder nicht?“, fragte Stollmann gereizt.
„Ist in Ordnung“, sagte Verena verbindlich. „Wir behalten das im Auge und besorgen die Akten.“
„Du meinst, ich besorge die Akten.“
Sie lächelte ihn hinreißend an, er lächelte zurück und sagte: „Ich habe schon angerufen. Die Aufbewahrungsfrist ist abgelaufen, die Akten sind im Schredder.“
Steins Mutter lebte noch. Sie verbrachte ihre letzten Jahre in einem Seniorenstift in Papenburg, sie hatte ein unauffälliges Leben geführt, über sie lag nichts Verwertbares vor.
„Wo liegt Sögel überhaupt?“, fragte
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