Der Spitzenkandidat - Roman
tun war. Bei der Bank würde sie keine Schwierigkeiten bekommen. Niemand würde sich dafür interessieren, ob Uwes Frau oder eine Bevollmächtigte das Schließfach leerte.
Die spannendere Frage war, was danach passieren würde. Marion ging mehrere Optionen durch. Sie könnte Subkow mit dem Geld beglücken, ein Gedanke, der ihr zuwider war. Sie könnte aber auch mit dem Geldkoffer ins Finanzministerium marschieren. Vermutlich lag Steuerhinterziehung vor. Aber für spürbare Schuldentilgung war es zu wenig Geld, und als Einnahmetitel würde es im Landeshaushalt ausgewiesen werden müssen. Dann müsste die Regierung erklären, woher das Geld stammte. Das wäre der Super-GAU, wenn Marion dafür verantwortlich wäre, dass bekannt würde, wie der ehemalige Spitzenkandidat ihrer Partei sich in seiner Zeit als Anwalt als Geldwäscher für einen Waffenhändler betätigt hatte. Das würde die Partei ihr niemals verzeihen, es wäre das Ende ihrer politischen Karriere. Und Subkow wäre noch immer auf freiem Fuß, um sich an der Witwe und ihrer Tochter zu rächen.
Die dritte Option hat mehr Charme: 600.000 Euro für sie, 600.000 Euro für Isabel. Für die Witwe wäre ein Schmerzensgeld für jahrelang erlittene Prügelorgien recht und billig. Für sie selbst wäre es eine reizvolle Reserve. Sie hatte ihren politischen Ziehvater verloren, sie musste sehen, wie es künftig für sie weitergehen würde. Es reichte nicht nur besser zu sein als ihre Konkurrenten, das war bisher schon so gewesen, daran würde sich nichts ändern. Aber nun musste sie sich darum kümmern, ein Netzwerk zu knüpfen, das ihre Karriere fördern würde. Sie musste das Vakuum, das Stein hinterlassen hatte, füllen, sie brauchte Kontakte zu Managern, Medienleuten, Verbandsspitzen. Sie musste dafür sorgen, zu den wichtigen Events eingeladen zu werden. Coaching, Stilberater, PR-Berater und positive Presseberichte, all das war ohne Geld nicht zu haben. Wenn sie in die wichtigen Kreise eingeführt werden wollte, musste sie sich mit entsprechenden Ratgebern umgeben. Diese Mentoren kosteten Geld, viel Geld. Für einen Moment glaubte sie Uwes Stimme zu hören: Macht es! Teilt euch das Geld! Vermutlich war dieser Subkow ja sogar Uwes Mörder. 1,2 Millionen seinem Mörder zu überlassen, wäre Verrat an Uwe.
Marion ging zum Telefon, um alles auf den Weg zu bringen. Morgen früh würde sie sich mit Giorgio treffen. Vor zwei Jahren hatten sie sich getrennt, aber Marion zweifelte nicht an seiner Hilfsbereitschaft.
40
Ralf Hübner faltete die letzte von vier Tageszeitungen, die jeden Morgen auf seinem Schreibtisch lagen, zusammen. Eine Woche nach dem Mord an Uwe Stein waren die Berichte in den Lokalteil gerutscht. Hübner war es egal, wer der Mörder war, er hatte bestimmt gute Gründe gehabt. Und er hatte ihm Arbeit abgenommen. Das nicht zustande gekommene Treffen, um das er den Politiker gebeten hatte, ging ihm durch den Kopf. Ein bedauerlicher Unfall, der einen Krankenhausaufenthalt nach sich gezogen hätte. Einige Wochen Krankenhaus gegen 1000 Arbeitsplätze. Auch jetzt verspürte er kein schlechtes Gewissen, wenn er an seinen Plan dachte.
Den Betriebsrat trieben andere Sorgen um. Seit Tagen bemühte er sich vergeblich, eine verbindliche Auskunft über den Stand der Fusionspläne zu erhalten. Der Arbeitsdirektor der Tawes AG wusste nichts, behauptete er zumindest, aber das Lügen gehörte zu seinem Job wie das Fliegen zum Vogel. Der Finanzvorstand hatte sich krank gemeldet, das Magen-Darm-Virus war hart, aber gerecht. Der Vorstandsvorsitzende bereiste seit drei Tagen die Niederlassungen in Posen und Krakau, danach war ein Abstecher zur Wiener Niederlassung geplant. Heute Mittag wurde Hansen zurück erwartet.
Hübner glaubte nicht, dass Bitter als künftiger Vorsitzender des Aufsichtsrates der Fusion mit der Deutschen Antriebstechnik zustimmen würde. Ohne das Okay der Landesregierung würde es der Familie Rausch, die 25 Prozent der Anteile an der Tawes AG hielt, kaum gelingen, einen Käufer für ihre Firmenbeteiligung zu finden. Investoren liebten es nicht, wenn Regierungen Pläne zur Verlagerung oder zum Abbau von Arbeitsplätzen blockierten.
Natürlich durfte man sich auf Zusagen der Politik nie verlassen, auch wenn Bitter die Arbeitsplätze am Standort Hannover am Herzen lagen. Aber wenn sich der Druck auf ihn erhöhte oder schon erhöht hatte? Hübner war nicht darüber informiert, was in diesen Tagen hinter den Kulissen ablief. Wer mit wem kungelte, ob die
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