Der Spitzenkandidat - Roman
Bürgerpartei und ihr Vorsitzender womöglich längst am Gängelband der Großindustrie liefen. Wundern würde es ihn nicht. Die neue Kampagne, die dieser Tage für Bitter aus dem Boden gestampft wurde, kostete Geld, viel Geld. Geld, das die Partei vermutlich nicht hatte. Sponsoren mussten her, um jeden Preis.
1000 Arbeitsplätze gegen fünf Jahre Regierung mit ihm selbst an der Spitze sowie attraktiven Minister- und Staatssekretärsposten für die eigenen Leute. Es brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Bitter sich entscheiden würde.
Hansens Vorzimmerdame rief an, der Vorstandsvorsitzende war zurück und wünschte ihn zu sprechen. Hübner nahm den Fahrstuhl. Selbst zwei Treppen mit 18 Stufen strengten ihn inzwischen an. Seit seinem Besuch beim Arzt war er noch kurzatmiger geworden. Der Druck auf der Brust wollte nicht vergehen. Kein Schmerz, aber ein komisches Gefühl, das früher nicht da gewesen war.
Hansen sah geschafft aus, zu wenig Schlaf, dunkle Augenringe. Hübner gönnte dem Mann nichts Schlechtes, aber es beruhigte ihn, dass auch andere ihr Päckchen zu tragen hatten. Zwei Sätze über den Verlauf der Reise und Hansen kam zum Thema: „Es geht um das Aufsichtsratsmitglied Rausch, Herr Hübner. Herr Rausch hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen.“
Hübner war klar, dass das Gespräch keinen guten Verlauf nehmen würde. Rausch junior war ein Luftikus von knapp 50 Jahren, ein verantwortungsloser Schmarotzer ohne innere Beziehung zum Unternehmen, das sein Großvater vor 100 Jahren gegründet hatte. Er hatte auch nichts mit seinem Vater gemeinsam, Rausch senior hatte das Haus mit harter, aber fairer Hand geführt und stets ein offenes Ohr für die Belange der Arbeiter behalten. Die klassische „große Familie“ mit dem strengen, aber väterlich-gerechten Patriarchen an der Spitze. Dem Senior wäre es nie in den Sinn gekommen, Anteile zu verschachern. Aber er war im Alter von 76 gestorben. Seit einem Jahr versuchte nun sein Dandy-Sohn, sich von den Firmenanteilen zu trennen, um seinen luxuriösen Lebensstil mit Villen im Tessin und in Kampen zu finanzieren.
„Herr Rausch ist verärgert, sehr verärgert, Herr Hübner. Er lastet es Ihnen an, dass die Deutsche Antriebstechnik ihr Angebot zurückgezogen hat. Dieser unsägliche Bericht im Wirtschaftsblatt und Ihre Rolle dabei sind ihm nicht verborgen geblieben. Rausch ist der Auffassung, dass Ihr Agieren geschäftsschädigend war.“
Hübner begann, seine Brille zu putzen. Die Enge im Brustraum ließ nach, so groß war die Erleichterung. Die Antriebstechnik wollte nicht mehr. Großartig! Rausch junior wollte ihm an den Kragen. Ärgerlich, aber nicht dramatisch. Nicht für ihn, er hatte schon ganz andere Dinge überstanden.
„Mit Verlaub, Herr Hansen, aber Rausch ist ein verantwortungsloser Luftikus.“
„Das will ich nicht gehört haben.“
„Er bietet seine Firmenanteile an wie Sauerbier, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Stil und Sinn für Tradition. Die Arbeitsplätze bedeuten ihm nichts, und nun ist er eingeschnappt, weil er nicht genug Geld für sein teures Spielzeug hat. Mir kommen die Tränen.“
„Herr Hübner! Nicht in diesem Ton! Das hatten wir doch schon! Es ist das gute Recht eines Kapitaleigners zu verkaufen. Eine Staatswirtschaft wie in der DDR will niemand, Sie doch auch nicht.“
„Vorsicht, Herr Hansen. Was ich will, ist die soziale Marktwirtschaft. Aber nicht, dass darüber nur Sonntagsreden geführt werden, sondern dass sie auch angewandt wird. Kapitalismus pur, wie Rausch sich das vorstellt, ist nicht das, wofür wir Gewerkschaftler seit nunmehr 60 Jahren kämpfen.“
Hansen rückte sich zurecht, machte sich zwei Zentimeter größer, als er sagte: „Herr Rausch erwartet von mir, dass ich Sie zur Ordnung rufe und an Ihre Pflichten als Mitglied des Aufsichtsrates erinnere. Wenn Sie ihm noch einmal in die Quere kommen, wird er Sie schadensersatzpflichtig machen. Darauf soll ich ausdrücklich hinweisen.“
Hübner putzte wie wild seine Brille. „Wir beide müssen uns doch nichts vormachen, Herr Hansen. Wir wissen, wer die Fusion gestoppt hat: der Tod von Uwe Stein. Oder anders gesagt, die Person, die ihn auf dem Gewissen hat. Ohne Stein als Chef des Aufsichtsrates wird das Land seine Sperrminorität nutzen und die Verlagerung der Arbeitsplätze ablehnen. Das weiß der Vorstand der Antriebstechnik, deshalb der Rückzieher. Mit mir hat das nichts zu tun. Wer etwas anderes behauptet, argumentiert unredlich und
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