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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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einen fliegenden Fisch mit meinen Blicken töten und einen Hai in einem fairen Kampf totbeißen! Harpunen sind meine Zahnstocher, und meine Nägel mache ich mit Schmiedehämmern sauber!«
    Flack legte die Hände auf die Hüften und vollführte einen schnellen Hüpfschritt. Dann sprang er in die Luft und ließ seine Hacken dreimal zusammenklappen, ehe er wieder landete. Die Lunglance-Crew brach in tobenden Beifall aus. Inzwischen hatte sich schon eine Menschenmenge um uns versammelt, meist grell gekleidete nullaquanische »Maßliebchen« und ihre Zuhälter. Auch ein Dutzend haarnasiger nullaquanischer Halbstarker waren da, und einige rivalisierende Seeleute, die man an den gebräunten Armen und den blassen Gesichtern erkennen konnte.
    Jetzt setzte Grent zu seiner Rede an: »Zurück, Leute, zurück, macht mir Platz, sonst schaffe ich Platz über euren massakrierten Körpern! Kommt mir nicht zu nahe, denn ich stehe Klassen über euch! Ich kann meinen Arm in den Ozean stecken und Kiesel von seinem Grund auflesen! Legt euch mit mir nicht an, tut es nicht, sonst trete ich die Nullaqua-Mauer nieder und lasse alle eure Luft verströmen! Mit einer Hand knüpfe ich einen Knoten in den Großmast, mein Atem schmilzt Stahlblech …«
    Mir war klar, daß dies eine Weile so weitergehen würde. Ich zupfe an Calothricks Ärmel, und wir schlüpften unauffällig aus der Menge hinaus.
    »Hee, Mann, willst du einen schnellen Schuß? Komm, gehen wir die Gasse hinauf«, sagte Calothrick und zog seine Pipette aus dem Gürtel. Ich folgte ihm in den düsteren Schatten, der von einem Tätowiersalon auf die Straße geworfen wurde. Grinsend zog Calothrick sein Kunststoffetui heraus und schlürfte eine erschreckende Dosis Flackern heraus. Er reichte mir die Pipette.
    »Monty, soviel kann ich nicht nehmen«, sagte ich.
    »Ach was, John, das ist doch keine Dosis für einen rotblütigen Mann wie dich«, protestierte Calothrick. Er nahm mir die Pipette aus den Fingern, legte den Kopf in den Nacken und drückte sich die ganze Dosis in den Hals.
    »Siehst du?« Er steckte die Pipette wieder in den Behälter und saugte schlürfend eine weitere Überdosis an.
    »Ich nehme weniger«, sagte ich. »Wir müssen alles, was wir können, für die Leute im Neuen Haus sparen.«
    »Ach, wir werden 'ne Menge haben. Wie viele Wale werden wir denn noch töten? Zwanzig, dreißig? Du könntest gallonenweise Stoff haben, wenn wir zurückkehren. Bist du sicher, daß du keinen Schuß willst?«
    »Keinen von dieser Größe.«
    »Wie du willst«, meinte Calothrick achselzuckend und schluckte eine zweite Dosis.
    »Du hast es verdünnt«, schlußfolgerte ich plötzlich. Ich nahm den Behälter aus seinen steifen Fingern und füllte die Pipette zu einem Viertel. »Auf Ericald Svobold«, sagte ich. »Möge er in dem Frieden ruhen, den er verdient.«
    »Wer?«
    »Ericald Svobold. Er war der Entdecker des Flackerns. So hat man es mir jedenfalls erzählt.«
    Ich schluckte die Dosis runter. Die Reaktion kam sofort, und sehr stark; ein Stromstoß jagte mein Rückgrat entlang und wandelte mein sorgfältig arrangiertes Nervensystem in eine zufällige, chaotische Masse sprühender Funken und Verschmelzungen. Wie Calothrick lehnte ich mich hilflos grinsend an die Wand.
    Ganz nahe an meinem Ohr ertönte eine Stimme. »Gute Laune, Schätzchen?«
    Hastig ließ ich den Flackern-Behälter in mein Hemd gleiten und bemühte mich, meine derangierten Kräfte zu sammeln. »Was?«
    Ein nullaquanisches Maßliebchen in mittleren Jahren, das Gesicht mit einer dünnen Schicht bunten Puders auf den Wangenknochen verziert, war in der Gasse nähergekommen, als ich weggetreten war. »Willst du ein bißchen Spaß haben, Seemann?«
    »Ich, äh, ich weiß nicht …«
    »Ich glaube, ich muß mich hinlegen«, brabbelte Calothrick und sank gegen die Wand.
    Die Frau half ihm auf die Füße. »Komm schon, Schätzchen. Ich weiß einen Platz für dich.« Sie legte seinen Arm über ihre stämmigen Schultern und griff hinter ihn, um seine Brieftasche mit mütterlichen Fingern abzuklopfen. Sie zwinkerte mir zu. Meinem vom Flackern ausgedörrten Verstand erschien ihr Gesicht glasig und unerträglich hell. »Adieu und traniges Glück, Walfänger. Guck mal bei Madam Annie rein. Frag nach Melda.«
    Es war eine enorme Erleichterung, als sie beide fort waren. Ich lehnte an der Wand und atmete die kühle Luft ein. Die Dinge schienen von selbst wieder in die Reihe zu kommen, und eine verschüttete Erinnerung nagte an meinem

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