Der Staubozean
die Maske ab, nieste und zog sie wieder auf. Ich mußte warten, bis der Staub sich setzte, ehe ich sie sauberzumachen versuchte. Ich ging zum Wassertank, drehte den Hahn auf und tränkte einen Schwamm voll Wasser. Die Berührung mit meiner Haut war in ihrem Luxus geradezu schwelgerisch.
Ich zog frische Kleidung aus meinem Seesack und holte den Besen aus dem Schrank. Der Staub war so leicht und reibungslos, daß es fast unmöglich war, ihn aufzuwischen; meine heftigen Bemühungen hatten nur den Erfolg, daß sich der Schnitt an meiner Hand wieder öffnete. Ein Blutstropfen glitt langsam an der Seite meines Handgelenks herab.
In diesem Moment kam Dalusa durch die Luke.
»Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?« fragte sie. Ich lächelte, als ich ihre Besorgtheit bemerkte.
»Mir geht's gut«, sagte ich. »Ein paar Hautabschürfungen; und als ich an Bord kletterte, habe ich mir blaue Flecken geholt. Ach ja, und die Hand habe ich mir aufgeschnitten.« Ich hielt die Wunde hoch.
»Au«, sagte Dalusa und kam näher. »Du blutest.«
»Es ist nichts«, sagte ich. Sie starrte auf die kleine Wunde mit der verzückten Faszination, die eine Gottesanbeterin beim Erscheinen einer Fliege zeigt. »Wie geht es dir?« fragte ich lahm.
»Gut. Ich bin mit derselben Geschwindigkeit wie der Staub geflogen, er konnte mich nicht verletzen. Aber er hat mein Kleid ruiniert. Siehst du?«
Es stimmte. Der dünne weiße Film war schmierig geworden; irgendwie hatten sich Millionen mikroskopisch kleiner Partikel in seine polimerisierte Oberfläche eingegraben.
»Vielleicht kannst du es waschen«, schlug ich vor.
»Oh, nicht nötig. Ich habe meterweise von dem Material. Ich werde ein neues machen.«
Unbehagliche Stille entstand. Ich stellte den Besen weg und tupfte die Wunde mit meinem Schwamm ab. Sie würde bald verkrusten.
»Als wir unter dem Schiff waren, John …«
»Ja.«
»Mir hat gefallen, was wir getan haben.«
Unsere Blicke trafen sich. Vielleicht hätten wir einander verstanden, wenn sie eine normale Frau und ich ein normaler Mann gewesen wären. Dichter sagen, daß Seelen sich mit den Augen als Medium begegnen und berühren. Aber selbst, wenn es sich um die gleiche Rasse handelt: Welcher Mann kann behaupten, die Gedanken einer Frau wirklich zu kennen? Ihre nächsten Worte waren kaum hörbar.
»Hat es dir auch gefallen?«
»Sehr.«
»Ich möchte, daß du mich küßt, John.« Sie trat noch näher an mich heran, so nahe, daß ich die strahlende Wärme ihres Körpers spüren konnte.
»Du weißt, daß ich das nicht tun kann.«
Sie schloß die Augen und hob das Kinn. Ich legte meine
Hände auf meinen Rücken. »Ich werde dir weh tun«, sagte ich nachgebend. Ihre vollkommen geformten Lippen öffneten sich den Bruchteil eines Zentimeters.
Ich beugte mich vor und ließ mit der Sorgfalt eines Biologen, der ein einzigartiges Exemplar seziert, meinen Mund den ihren berühren. Sie reagierte mit träumerischer Gier, und die gesamte Situation gewann einen Aspekt glasiger Unwirklichkeit. Ein Schauder durchfuhr mich. Die seidene, fast geschmolzene Vereinigung von Geweben und Berührungen war wie der Höhepunkt eines Mords. Tränen traten in meine Augen, als ihre Zunge über die schrecklich empfindlichen Ränder meines Gaumens glitt, direkt hinter meinen Zähnen. Ich reagierte. Ihre Zähnen waren außergewöhnlich scharf, und dem Geschmack ihres Mundes haftete etwas Fremdartiges an, anders als bei jeder menschlichen Frau. Aus ihren Nasenlöchern entwich die Atemluft und erwärmte meine Wange.
Schließlich lösten wir uns voneinander. Ihre Lippen blähten sich schon und schwollen an; vor meinen Augen wurden sie eitrig und entzündet. Die Sekunden schienen dahinzusickern, bewegten sich so langsam wie Blasen, die im Schlamm hochsteigen. Dalusa sagte nichts, aber aus ihren Augenwinkeln flossen Tränen und rollten über ihre Wangen und den geschwollenen Mund.
Ich hob meine verletzte Hand und hielt sie vor ihr Gesicht. Dann ballte ich meine Faust und drückte sie fest. Der halbgebildete Schorf platzte klebrig auf, und langsam sickerte ein frischer Blutstropfen an meinem Handgelenk hinab. Bewegungslos standen wir dort und beobachteten die Schmerzen des anderen.
7
Arnar
D IE L UNGLANCE MUSSTE GEDOCKT UND ÜBERHOLT werden. Kapitän Desperandum ließ Kurs auf die Drudenfuß-Inseln nehmen. Nullaquas drittgrößte Ansiedlung, Arnar, war auf der größten dieser Inseln erbaut.
Es kostete drei Tage, uns in den Hafen zu schleppen. Nachdem er
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