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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Unterbewußtsein. Eine Besorgung … ah ja, der Schnaps.
    Mit äußerster Vorsicht ging ich auf die Straße hinaus und trat auf einen schmalen, langsamen Gleitweg. Schließlich glitt ich an einer Kneipe vorbei, die etwas weniger heruntergekommen aussah als die meisten, und verließ den Gleitweg. Auf hohen Blockbuchstaben, mit grünem Lack bemalt, der die selbstleuchtenden Säfte des nullaquanischen Planktons enthielt, stand dort: »Merkles Bar und Grill«.
    Ich ging hinein und stellte einen Fuß auf die Messingstange vor der Theke. Merkle, ein untersetzter, glatzköpfiger Mann mit gebräuntem Gesicht und einem gezwirbelten Schnurrbart, tauchte vor mir auf.
    »Was soll's sein, Seemann?«
    »Gib mir 'nen Schuß vom alten Rotauge«, brummte ich auf Original-Seemannsart.
    »Was, zum Teufel, ist das denn?«
    Ich erklärte es ihm. »Tut mir leid, so was wirst du hier nirgendwo finden«, sagte Merkle. »Nichts, was stärker als zwanzig Grad Normalstärke ist.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es ungesetzlich ist.«
    Ich hätte es eigentlich wissen müssen. »Gib mir ein Bier«, sagte ich. Selbst die relativ schwachen Getränke reichten nicht aus, einen entschlossenen nullaquanischen Seemann im Stande der Nüchternheit zu halten. Ich spülte den Geschmack des Flackerns aus meiner Kehle, als ich plötzlich den Ausbruch eines lauten Streitgesprächs zwischen den Gästen am Ende der Theke hörte. Es klirrte und knallte, als jemand einen verbeulten Messing-Bierkrug gegen irgendeinen Kopf schlug. Diesem Geräusch folgte das schnelle Klatschen von Fingerknöcheln, die auf Zähne trafen.
    »Das haben wir hier nicht so gerne«, brüllte Merkle und ergriff eine lange Aluminiumkeule, die mit Messingnägeln besetzt war. »Geht raus und tragt euren Streit wie Gentlemen aus.«
    »Ich schlage ihm die Zähne ein«, versprach einer der Streithähne und trank den Rest des Biers aus dem verbeulten Messingkrug. Als ich mich über die Theke lehnte und an den blassen, trunkenen Gesichtern der Matrosen vorbeischaute, erkannte ich Blackburn, den Harpunier der Lunglance. Er und sein Gegner, ein muskulöser Nullaquaner, dessen Nasenhaar unentwirrbar mit einem mächtigen roten Schnauzbart verflochten war, gingen unter einer von der Decke herabhängenden Walfischtranlampe hindurch nach draußen.
    Ich trank mein Bier aus, nahm das Trinkgeld, das auf einem runden, kunststoffüberzogenen Tisch für eine Kellnerin lag, und zahlte.
    »Liefert ihr außer Haus?« fragte ich.
    »Ja, sicher; Seemann.«
    Ich bestellte drei Liter vom stärksten Bier, die er zur Lunglance liefern sollte. Die Adresse unseres Docks schrieb ich auf einen Kunststoffblock. Dann ging ich.
    Draußen waren Blackburn und sein Kontrahent noch immer zugange. Ich quetschte mich durch die Menschenmenge, die sich versammelt hatte und zusah, wie die beiden sich auf dem Pflaster beharkten. Das Haar in einem von Blackburns Nasenlöchern war blutgetränkt, und sein Gegner hatte eine aufgeplatzte Lippe. Nicht mehr in der Lage, auf die Füße zu kommen, schlugen sie sich abwechselnd in den Leib. Ihre Schläge wurden immer schwächer, aber da die Widerstandskraft der beiden Männer ebenfalls nachließ, hatten die Schläge die gleiche Wirkung wie am Anfang. Bei jedem Treffer öffneten sie den Mund, brüllten auf, stießen kurze, tiefe Schreie aus, von keuchenden Atemzügen unterbrochen.
    Schließlich, von blauen Flecken übersät und japsend, klammerten sie sich hilflos aneinander und atmeten röchelnd und stoßweise ein und aus.
    Langsam, mit geradezu quälender Konzentration, ballte der schnauzbärtige Seemann seine Faust. Blackburn hob schwach eine Hand. »Zum Teufel«, sagte er durch geschwollene Lippen. »Gehen wir ein Stück die Straße hoch und legen uns hin.«
    »Jawoll«, sagte der andere nickend. Enttäuschtes Murmeln stieg aus der Menge, als die beiden sich zitternd gegenseitig auf die Füße halfen und Arm in Arm auf ein Bordell auf der anderen Straßenseite zutaumelten.
    Es war Zeit zum Mittagessen, schloß ich nach einem Blick zur Sonne. Ich nahm den Gleitweg, der von der Starcross Street zu einem achtbareren Teil der Stadt führte. Dort hielt ich an einem kleinen Straßenrestaurant und genehmigte mir ein Beefsteak. Es war nicht gerade vom Besten; die nullaquanischen Gewürze, die bei seiner Zubereitung verwendet worden waren, gaben der Soße einen dünnen Beigeschmack von Säure, und der Salat, der dazu gereicht wurde, war mit ausgesprochen erschreckender Ahnungslosigkeit zusammengestellt.

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