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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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mit verschiedenen Schiffsbaufirmen telefoniert und alles zu seiner Zufriedenheit in die Wege geleitet hatte, versammelte Desperandum die Crew und gab uns allen Landgang. Er selbst blieb an Bord.
    Die Männer trampelten über die Gangway und die verschrammten Metalldocks zu einem der riesigen Aufzüge an der Arnar-Felswand. Die mächtige Kabine lief auf stromführenden Metallschienen zu der Stadt über uns. Mürrisch füllten die Männer den Aufzug und schlossen die Sicherheitsschranke hinter sich. Ich war unter ihnen, ebenso Calothrick. Dalusa war nirgendwo zu sehen; wahrscheinlich flog sie auf Aufwinden zu der Stadt hinauf. In den letzten drei Tagen hatte ich nicht mehr mit Dalusa gesprochen. Sie hatte etwas von ihrer konzentrierten Nahrung aus der Küche geholt und sich in ihr Zelt auf dem Deck zurückgezogen. Ich war zu ihr gegangen, um mit ihr zu sprechen, aber sie hatte die Maske aufbehalten, als ich ihr Zelt betrat. Es war unmöglich, auch nur eine einseitige Unterhaltung aufrechtzuerhalten, wenn sie mir mit der porzellanweißen
    Maske gegenübersaß, auf der die blutrote Träne unter dem rechten Auge einen grotesken Kontrapunkt bildete. Vielleicht bedauerte sie ihr Handeln, vielleicht war sie noch immer an den Nebenwirkungen des Kusses erkrankt, wahrscheinlich traf beides zu. Ich wollte sie nicht quälen.
    Der zweite Maat drückte einige Schalter, und der Aufzug begann träge die Felswand hochzusteigen. Die Hafenanlagen, Walfänger und Handelsschiffe unter uns schrumpften langsam; die Luft wurde nach und nach klarer, so daß ich von meiner Position am Geländer nach unten auf einen dünnen gräulichen Dunst schauen konnte, der die Oberfläche des Staubmeeres trübe machte. In der Ferne leuchtete die entgegengesetzte Kante des Nullaqua-Kraters, so klein wie immer, aber jetzt, da wir uns oberhalb des Dunstes befanden, waren die Konturen viel schärfer. Der Felsen nahm nun sechs Grad des westlichen Horizonts ein. Man konnte sich kaum vorstellen, daß er aus einer Vielzahl abfallender Klippen, siebzig Meilen hoch, bestand; er sah vielmehr wie eine sich zusammenballende Sturmfront aus, aus der graue Gewitterausläufer in den Himmel ragten. Aber das reichte aus, einem das Gefühl zu geben, man lebte in einer Schüssel. Im Osten, hinter uns, bedeckten die Klippen des Ostrands fast die Hälfte des Himmels. Am Fuß der Felsen kam der Morgen am Mittag. Die ersten Stunden des Tages wurden vom Glanz der Westklippen erhellt, die über die Atmosphäre hinausragten und das reine Sonnenlicht mit mondgleicher Intensität reflektierten.
    Die Luft klarte immer mehr auf und nahm die gnadenlose wolkenlose Klarheit aller Inselstädte Nullaquas an. Ich riskierte es, meine Maske abzunehmen. Sie war rein. Ich tat einen tiefen Atemzug und drehte mich zu Calothrick um.
    Alle Matrosen starrten mich düster und unfreundlich an, als hätte ich gegen die Etikette verstoßen. Ich zog die Maske wieder über.
    Schließlich erreichte der Aufzug die Spitze der Klippe und blieb mit einem Klicken vor einem weiten, mit Metall ausgelegten Gang stehen, der an der offenen Seite mit einem zwei Meter hohen Drahtzaun gesichert war. Damit wurde verhindert, daß selbst die betrunkensten nullaquanischen Seeleute über den Klippenrand strauchelten und ihre Körperflüssigkeit auf den Felsen weit unten vergeudeten. Der zweite Maat packte das Sicherheitsgeländer des Aufzugs und ließ es mit einem Kreischen aufschwingen. Ich machte mich bereit, den Aufzug zu verlassen.
    Plötzlich rannten alle Matrosen wie ein einziger Körper vorwärts; ihre überraschende Bewegung ließ mich rasselnd gegen den Drahtzaun prallen.
    Ich stolperte hinter ihnen her und merkte, daß wir uns auf der Starcross Street befanden, dem Herzen des Bordellviertels. Beide Seiten der breiten Avenue waren mit Bars, Nachtclubs, Ringkampfarenen, Automatenhallen und Häusern mit schlechtem Ruf gesäumt.
    Plötzlich riß Flack seine karierte Maske vom Gesicht und ließ ein ohrzerreißendes Geheul hören. Wie auf ein Kommando zogen die übrigen Matrosen ihre Masken ab und hängten sie in die Ringe an ihren Gürteln ein. Inzwischen hatte Flack lauthals einen ritualisierten Singsang angestimmt:
    »Ich bin Flack, der erste Maat der Lunglance, des schönsten Schiffs in der Flott!«
    Die übrigen Matrosen johlten zustimmend.
    »Ich bin zäh wie Federstahl und so groß wie der Großmast! Im Beton hinterlasse ich meine Fußabdrücke, und ich lasse Felsen mit meiner bloßen Faust zerbersten! Ich kann

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