Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
Finger zurück, ehe der zweite Tentakel auf seine Hand zufuhr. Der Fisch verschwand unter der Oberfläche.
    »Kräftiges kleines Biest!« sagte Desperandum bewundernd. »Wissen Sie, sie waren im gesamten Krater verbreitet, ehe er besiedelt wurde. Unwissend, wie sie waren, hörten sie nicht auf, Schiffe anzugreifen und vergifteten sich selbst. Ein Tropfen menschlichen Bluts durch einen dieser Dornenschnäbel tötete sie fast auf der Stelle. Ich habe sogar gehört, sie seien völlig ausgelöscht. Aus Angst vor gegenseitiger Zerstörung wollte niemand ihre letzte Zuflucht oben im Norden besuchen. Vielleicht erleben sie ein Comeback.«
    Wundervoll, dachte ich. Ein paar hundert getarnte Killer würden dem nullaquanischen Dasein die rechte Würze geben. Ich fragte mich, wie groß dieses Geschöpf werden konnte. Drei Meter? Vielleicht bis zu zwanzig? Vor mir erschien das Bild eines giftigen Ungeheuers, so groß wie ein Mammutbaum, das in der trockenen schwarzen Dunkelheit unter dem Schiff lauerte, bis seine Zeit gekommen war. Ein gewaltiger schroffer Tentakel, der sich um die Lunglance legte, ein nachlässiger Ruck, und den Rätseln des Meeres wäre ein weiteres hinzugefügt. Hunger wäre ein viel zu starker Antrieb; bloße Neugier wäre schon verhängnisvoll genug. Dalusa machte an diesem Tag eine Herde Staubwale aus, aber bis die Lunglance die Stelle erreicht hatte, waren sie verschwunden.
    Die Anemone wuchs weiter. Aus Vorsicht legte Desperandum ein schweres Eisengitter auf den Bottich. Die Besatzungsmitglieder machten, wann immer es ging, einen weiten Bogen um den Behälter, vor allem dann, wenn die Kreatur ihre drahtigen Anhängsel in die Luft streckte und sie nach Kräften hin und her bewegte. Als sie wuchs, wurde die Anemone dunkler; jetzt hatten ihre Arme die Farbe getrockneten Bluts.
    Als der junge Meggle mittags zu mir kam, um die Mahlzeit für die Offiziere zu holen, sagte er mir mürrisch, daß der Kapitän mich sprechen wollte. Nach einer angemessenen Zeit meldete ich mich bei ihm. Desperandum beendete gerade seine Mahlzeit.
    Wir gingen in die Kajüte; nachdrücklich schloß Desperandum die Tür. »Ich vermute, Sie haben das Gerücht gehört, daß ich vorhabe, Kurs auf die Glimmerbucht zu nehmen.«
    Das war die vermeintliche Heimat der letzten Anemonen. »Jawohl, ich habe davon gehört«, log ich entschlossen.
    »Was halten Sie davon?« fragte er.
    Ich spürte, daß seine Offenheit nach Ausflüchten meinerseits verlangte. »Zuerst würde ich gern Ihre Gründe dafür hören.«
    »Sehr gut. Es hat natürlich mit dem Tier zu tun. Ich würde es gerne an Bord behalten und seine Gewohnheiten studieren; vielleicht könnte ich es später dem Gemeindezoo auf der Hochinsel stiften. Andererseits wäre es unmoralisch, eine vom Aussterben bedrohte Art eines potentiellen Mitglieds und damit dessen Genvorrats zu berauben. Ich müßte mir die Situation selbst ansehen und feststellen, wie groß die AnemonenPopulation ist. Das könnte natürlich umständlich sein.«
    Der Kapitän schien nicht gewillt, mehr zu sagen. Er lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und verschränkte die kurzen, dicken Finger.
    »Rechnen wir die Vor- und Nachteile beider Möglichkeiten gegeneinander auf«, sagte ich schließlich. »Zuerst, was gegen die Fahrt spricht. Die Kursänderung wird die Reise verlängern. Der Ausflug führt in ausgesprochen unerforschtes Gebiet, in dem Untiefen und Strömungen uns gefährden können. Und außerdem könnte die Lunglance von Anemonen angegriffen werden.«
    »Darin liegt keine wirkliche Gefahr«, unterbrach Desperandum milde. »Selbst in den besten Zeiten dieser Gattung war die größte bekannte Anemone nur knapp zehn Meter lang. Nicht groß genug, um das Schiff als Ganzes zu bedrohen.«
    »Aber wir könnten ein Besatzungsmitglied verlieren.«
    »Möglich. Und ein Risiko haben Sie ausgelassen: Glimmer ist eine sehr enge Bucht, fast vollständig von Land eingeschlossen. Die Sonne scheint dort nur etwa eine Stunde am Tag. Die Düsternis und die Felswände, so sagt man, verursachen akute Depressionen, Melancholie, Klaustrophobie; selbst die eingeborenen Nullaquaner sind davon betroffen.«
    Ich hob die Brauen.
    »Oh, das ist ziemlich einleuchtend«, sagte Desperandum. »Sind Sie jemals in Ausdauer gewesen?«
    »Nein, Sir.«
    »Ich war selbstverständlich schon da. Dort ist es ebenfalls ziemlich deprimierend; Ausdauer ist eine halbe Meile hoch auf dem Felsen an der Westseite einer schmalen Bucht errichtet worden,

Weitere Kostenlose Bücher