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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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alles über das Flackern - nennt man es noch immer so? Ich weiß auch von dem Destillierapparat in der Küche. Und Calothricks Zustand war offensichtlich, jedenfalls für einen Eingeweihten.«
    Ich war überführt, und wir wußten es beide, also war ich ganz offen: »Sie sind über das Flackern in Streit geraten. Calothrick hat ihn niedergestochen, aber Murphig warf ihn danach über Bord, und die Haie erwischten ihn. Ich habe es beobachtet und ihm meine Hilfe dabei angeboten, den Mord zu verbergen, damit die Sache mit dem Flackern unentdeckt blieb. Aber Murphig trank zuviel von dem Flackern und ist gestorben, und jetzt muß ich ihn über Bord werfen, oder alles wird entdeckt. Es ist nicht gerade ehrenhaft, aber es ist das einfachste, Käpt'n.«
    Desperandum dachte darüber nach. »Die Sache mit Murphig ist eine verdammte Schande. Er hätte mir sehr nützlich sein können. Jetzt muß ich einen Ersatz für ihn finden.«
    Ein bedeutungsvolles Schweigen. Die Implikation seiner Feststellung war offensichtlich.
    »Was soll ich tun?« fragte ich.
    »Keine Bedingungen«, erwiderte Desperandum unnachgiebig; er war sicher, mich in der Gewalt zu haben. »Sind Sie bereit, seinen Platz einzunehmen?«
    »Ist es eine ehrenhafte Angelegenheit?«
    Desperandum lachte verächtlich. »Sie meinen, nach Ihren Maßstäben? Ja. So ehrenhaft wie alles, was Sie je getan haben. Also: ja oder nein.«
    »Das ist absurd! Ich will wissen, was …« Der Gesichtsausdruck des Kapitäns veränderte sich, und ebenso schnell sagte ich: »Ich tu's. Ja.«
    Sein Alarmschrei wurde abgeschnitten, noch ehe er angesetzt hatte, und ein paar schnelle Herzschläge lang fuhr ein verwirrter Ausdruck über sein Gesicht. Dann sagte Desperandum: »Sehr gut. Dann ab mit ihm.« Und wir schoben Murphig unter der Reling hindurch.
    Die knirschenden Laute der zupackenden Haie wurden durch den aufgewühlten Staub gedämpft. Desperandum sagte voller Abscheu: »Teufel, ich hasse diese Ungeheuer, ihre Zähne seien verdammt! Aber wir können nicht zulassen, daß Haß den Fortschritt aufhält, oder? Ich gehe wieder zu Bett - sobald ich meine Inspektion des Schiffs beendet habe, heißt das.«
    »Kapitän, jetzt, da ich zugestimmt habe …«
    »Nichts mehr, Newhouse. Ziehen Sie Ihre Maske fest, oder wollen Sie Ihre Lungen ruinieren?«
    »Aber ich wollte doch nur …«
    »Legen Sie sich schlafen. Und denken Sie daran: Sie sind ein unschuldiger Mann.« Desperandum wandte sich um und stampfte davon.
    Ich ging nach unten. Meine Lungen brannten, und der Schlaf kam sehr langsam.
    Im Morgengrauen war ich auf den Beinen, um das Frühstück vorzubereiten. Die beiden Männer wurden beim Essen vermißt. Es gab eine oberflächliche Suche auf dem Schiff und scheinheilige Äußerungen tiefer Betroffenheit vom Kapitän und von mir. Desperandum versetzte mich in Erstaunen: Sein Auftritt war so überzeugend, daß er auf eine gespaltene Persönlichkeit hinzuweisen schien - bei einem Mann seines Alters keine ungewöhnliche Erscheinung.
    Die Lage hätte viel schlimmer sein können; die beiden vermißten Männer waren nicht sehr beliebt gewesen. Keiner hatte viel Interesse an Murphig gezeigt; sein Benehmen war eigenartig, und für einen Seemann kam er aus der falschen sozialen Klasse. Calothrick war noch weniger gut gelitten; er war ein völlig unbedeutender Mensch, ein Sünder und noch dazu ein Außenweltler. Tatsächlich schienen viele Mannschaftsmitglieder zu bedauern, daß Dalusa nicht auch verschwunden war; sie hatten sie immer als Zerrbild der Weiblichkeit verachtet. Ohne Zweifel waren die Matrosen durch den »Unfall«, wie wir es schließlich nannten, tief beunruhigt, aber sie sprachen nicht viel darüber. Sie sprachen über gar nichts sehr viel.
    Desperandums offizielle Theorie war, daß sie miteinander gerungen hatten und über Bord gefallen waren, und jeder betete diese Version nach.
    Die Angst, die von diesem Unglück ausging, mag für den fieberhaften Eifer der Crew an diesem Tag verantwortlich gewesen sein. Desperandum ließ schon früh an dem Wal arbeiten. Sie schienen von der unermüdlichen Vitalität des Kapitäns inspiriert zu sein und arbeiteten wie Wahnsinnige an dieser unbegreiflichen Aufgabe.
    Die Methodik des Arbeitsablaufs war ein Zeichen für Planung von langer Hand. Zuerst wurde der Wal völlig ausgehöhlt und innen gereinigt und gesalzen, um Fäulnis zu verhindern. Der Schlund wurde gesäubert und zugestopft. Die Augen wurden mit Harpunen ausgegraben und durch dicke Linsen aus

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