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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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sicher eine feine Staubspur, aber damit wurde seine haarige Nase wahrscheinlich fertig. In der anderen Hand hielt er eine Harpune.
    Calothricks abblätternde Maske verbarg sein Gesicht, aber an seiner Körperhaltung konnte ich seine Augen erkennen. Er war ein Stückchen zurückgetreten und hielt seine offenen Hände, die Handflächen nach unten, gespreizt vor sich.
    »Du bist für meine Sucht verantwortlich. Ich bin nicht der Idiot, für den du mich hältst … Außenweltler!« Haß lag in Murphigs Stimme. Er nahm einen weiteren Atemzug; verzerrte Schatten tanzten über sein Gesicht. »Du bist so schuldig, wie die Sünde selbst, du Galaktiker.« Ein Atemzug. »Ewiges Vergessen wird dich hinwegnehmen. Daran sollst du denken.« Atemzug. »Wir haben vollkommene Stabilität erreicht. Wenn du auch Hunderte von Jahren leben magst, kannst du doch nicht dieselbe Persönlichkeit aufrechterhalten, so sündig wie sie ist. Wir wissen beide, daß du es in ein paar Jahren schaffen wirst, dich selbst umzubringen. Staub wirst du sein, und noch weniger als Staub. Sogar eure Kultur wird verrottet und vergessen sein. Aber wir werden am Leben sein - und unverändert. Und stabil. Millionen von Jahren. Bis die Sonne erlischt. Und dann wird unser Schiff warten. Siehst du den kleinen Stern dort oben? Der, der sich bewegt? Er ist sehr klein. Wahrscheinlich hast du ihn noch nicht einmal bemerkt. Oh, das ist ein altes Schiff. Keines von der Art, mit dem ihr Galaktiker fliegt. Aber es ist noch immer in der Umlaufbahn und wartet auf unseren Ruf. Eines Tages wird es uns wieder aufnehmen. Und wir werden immer noch dieselben Dinge denken, an denselben Gott glauben, dieselben Menschen sein. Und keiner von uns wird vergessen sein. Nicht wie deine Leute. Und wir werden einen anderen Planeten finden, vielleicht euren Planeten, nachdem ihr alle tot seid. Meine Nachkommen werden auf deiner Asche tanzen, Calothrick. Falls du lange genug lebst, um zu diesem Planeten zurückzukehren. Und das wirst du nicht, wenn du mir nicht mehr von dieser Droge gibst. Das ist die Konföderationsdroge, oder? Du brauchst gar nichts zu sagen. Ich weiß, daß sie es ist. Du ausländischer Parasit! Entweder gibst du mir sie …« Er schüttelte seine Harpune, »… oder du bekommst dieses in die Eingeweide, und ab geht's zu den Haien! Jeder wird glauben, du wärst über Bord gestürzt.«
    Während der letzten Sätze war der junge nullaquanische Matrose heiser geworden. Der Staub kratzte in seinem Hals. Plötzlich fing er an, gequält zu husten, und preßte die Staubmaske gegen sein Gesicht. Er würgte immer noch, als Calothrick ihn angriff. Die Harpune prallte von dem Walkörper ab und fiel auf das Deck, die Maske flog aus Murphigs kraftlosen Händen und landete irgendwo hinter ihm. Als die beiden miteinander rangen und aufs Deck fielen, hieb Calothrick ein- oder zweimal in Murphigs Seite, wie es schien, mit der Handkante. Murphig drehte sich seitwärts fort und setzte einen Fuß auf Calothricks Hüfte. Er trat zu. Calothrick flog zurück, prallte gegen die Reling, verlor das Gleichgewicht und stürzte, ohne einen Laut von sich zu geben, über Bord.
    Einen Augenblick später war zu hören, wie die Haie ihn zerrissen. Das entsetzte mich. Ich hatte die Haie nicht erwartet. Aber sie hatten Calothrick erwartet; und ich kannte das kalte Grauen ihrer Geduld und ihren stillschweigenden Pakt mit dem Tod.
    Murphig, auf allen vieren, hustete sich die Lunge aus dem Hals. Er wirkte schwer getroffen. Wenn er weiter hustete, würde er die Männer aufwecken. Dann wäre die Hölle los; Murphig würde wahrscheinlich alles zugeben.
    Ich ging um den Walkörper herum. Murphig bemerkte mich nicht, bis ich ihm seine Maske reichte. Er zog sie sofort über. Ohne Zweifel hatte er mir eine Menge zu sagen, aber mit der überspülten Maske konnte er das nicht. Ich wies mit ausgestrecktem Arm zur Kombüsenluke.
    Wir gingen auf sie zu. Murphig ging halb gebückt, die Arme um den Körper geschlungen. Er wirkte völlig kalt, aber vielleicht war er durch den Mord wie gelähmt. Wir gingen in die Küche hinab, Murphig zuerst. Ich trug die Laterne, die auf kleiner Flamme brannte.
    Murphig umklammerte immer noch seinen Oberkörper. Ich bot ihm den Küchenstuhl an, er setzte sich und zog die Maske mit einer Hand herab. Ich saß auf der Anrichte. Murphigs Augen glänzten gelb, ein Zeichen für Flackern-Entzug. Ich nahm meine Maske ab und setzte die Laterne neben mich auf die Anrichte.
    Murphig blickte zu mir hoch.

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