Der Stechlin.
Doktor seiner Natur wie seiner Newyorker Schulung nach zu sprechen liebte, nicht sonderlich zu den Gepflogenheiten des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder ein gewisser Reiz darin, ein Reiz, der sich noch verdoppelte durch das, was Pusch aus aller Welt Enden mitzuteilen wußte. Brillanter Korrespondent, der er war, unterhielt er Beziehungen zu den Ministerien und, was fast noch schwerer ins Gewicht fiel, auch zu den Gesandtschaften. Er hörte das Gras wachsen. Auf Titulaturen ließ er sich nicht ein; die vielen Telegramme hatten einen gewissen allgemeinen Telegrammstil in ihm gezeitigt, dessen er sich nur entschlug, wenn er ins Ausmalen kam. Es war im Zusammenhang damit, daß er gegen Worte wie: »Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat« einen förmlichen Haß unterhielt. Herzog von Ujest oder Herzog von Ratibor waren ihm, trotz ihrer Kürze, immer noch zu lang, und so warf er denn statt ihrer einfach mit »Hohenlohes« um sich. In der Tat, er hatte mancherlei Schwächen. Aber diese waren doch auch wieder von ebenso vielen Tugenden begleitet. So beispielsweise sah er über alles, was sich an Liebesgeschichten ereignete, mit einer beinah vornehmen Gleichgültigkeit hinweg, was manchem sehr zupaß kam. Ob dies Drüberhinsehn bloß Geschäftsmaxime war oder ob er all dergleichen einfach alltäglich und deshalb mehr oder weniger langweilig fand, war nicht recht festzustellen; er kultivierte dafür mit Vorliebe das Finanzielle, vielleicht davon ausgehend, daß, wer die Finanzen hat, auch selbstverständlich alles andere hat, besonders die Liebe.
Das war Dr. Pusch. Er schloß sich, als man aufbrach, einer Gruppe von Personen an, die den »angerissenen Abend« noch in einem Lokal verbringen wollten.
»Ja, wo?«
»Natürlich Siechen.«
»Ach; Siechen. Siechen ist für Philister.«
»Nun denn also, beim ›schweren Wagner‹.«
»Noch philiströser. Ich bin für Weihenstephan.«
»Und ich für Pilsener.«
Man einigte sich schließlich auf ein Lokal in der Friedrichstraße, wo man beides haben könne.
Die Herren, die dahin aufbrachen, waren außer Pusch noch der junge Baron Planta, dann Cujacius und Wrschowitz und abschließend Premierleutnant von Szilagy, der, wie schon angedeutet, früher bei den Gardedragonern gestanden, aber wegen einer großen Generalbegeisterung für die Künste, das Malen und Dichten obenan, schon vor etlichen Jahren seinen Abschied genommen hatte. Mit seinen Genrebildern war er nicht recht von der Stelle gekommen, weshalb er sich neuerdings der Novellistik zugewandt und einen Sammelband unter dem bescheidenen Titel »Bellis perennis« veröffentlicht hatte. Lauter kleine Liebesgeschichten.
Alle fünf Herren, mit alleiniger Ausnahme des jungen Graubündner Barons, erwiesen sich von Anfang an als ziemlich aufgeregt, und jeder ihnen Zuhörende hätte sofort das Gefühl haben müssen, daß hier viel Explosionsstoff aufgehäuft sei. Trotzdem ging es zunächst gut; Wrschowitz hielt sich in Grenzen, und selbst Cujacius, der nicht gern anderen das Wort ließ, freute sich über Puschs Schwadronage, vielleicht weil er nur das heraushörte, was ihm gerade paßte.
Leutnant von Szilagy - man kam vom Hundertsten aufs Tausendste - wurde bei den Fragen, die hin- und hergingen, von ungefähr auch nach seinem Novellenbande gefragt und ob er Freude daran gehabt habe.
»Nein, meine Herren«, sagte Szilagy, »das kann ich leider nicht sagen. Ich habe ›Bellis perennis‹ auf eigne Kosten herstellen lassen und hundertzehn Rezensionsexemplare verschickt, unter Beilegung eines Zettels; der ist denn auch von einigen Zeitungen abgedruckt worden, aber nur von ganz wenigen. Im übrigen schweigt die Kritik.«
»Oh, Krittikk«, sagte Wrschowitz. »Ich liebe Krittikk. Aber gutte Krittikk schweigt.«
»Und doch«, fuhr Szilagy fort, der sich in dem etwas delphischen Ausspruch des guten Wrschowitz nicht gleich zurechtfinden konnte, »doch sind diese schmerzlichen Gefühle nichts gegen das, was voraufgegangen. Ich unterhielt nämlich vor Erscheinen des Buches selbst die Hoffnung in mir, einige dieser kleinen Arbeiten in einem Parteiblatt und, als dies mißlang, in einem Familienjournal unterbringen zu können. Aber ich scheiterte…«
»Ja, natürlich scheiterten Sie«, sagte Pusch, »das spricht für Sie. Lassen Sie sich sagen und raten, denn ich weiß in diesen Dingen einigermaßen Bescheid. War nämlich drüben, ja ich darf beinah sagen, ich war doppelt drüben, erst drüben in England und dann drüben in
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