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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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Studentenliebe, von dem Säulenheiligen, der reinen Herzens ist, und vor allem von dem Schöpfer und geistigen Nährvater unsers Freundes Stechlin. Eh bien, was ist es mit ihm? ›An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen‹ das könnt’ uns beinahe genügen. Aber ich bin doch für ein Weiteres. Und so denn attention au jeu. Unser Freund Stechlin hat das Wort.«
    »Ja, unser Freund Stechlin hat das Wort«, wiederholte Woldemar, »so sagen Sie gütigst, Frau Gräfin. Aber dem nachkommen ist nicht so leicht. Vorhin, da war ich im Zuge. Jetzt wieder damit anfangen, das hat seine Schwierigkeiten. Und dann erwarten die Damen immer eine Liebesgeschichte, selbst wenn es sich um einen Mann handelt, den ich, was diese Dinge betrifft, so wenig versprechend eingeführt habe. Sie gehen also, wie heute schon mehrfach (ich erinnere nur an das Eierhäuschen), einer grausamen Enttäuschung entgegen.«
    »Keine Ausflüchte!«
    »Nun, so sei’s denn. Ich muß es aber auf einem Umwege versuchen und Ihnen bei der Gelegenheit als Nächstes schildern, wie meine letzte Begegnung mit Lorenzen verlief. Er war, als ich bei ihm eintrat, in ersichtlich großer Erregung, und zwar über ein Büchelchen, das er in Händen hielt.«
    »Und ich will raten, was es war«, unterbrach Melusine.
    »Nun?«
    »Ein Buch von Tolstoi. Etwas mit viel Opfer und Entsagung. Anpreisung von Askese.«
    »Sie sind auf dem richtigen Wege, Gräfin, nur nicht geographisch. Es handelt sich nämlich nicht östlich um einen Russen, sondern westlich um einen Portugiesen.«
    »Um einen Portugiesen«, lachte die Baronin. »oh, ich kenne welche. Sie sind alle so klein und gelblich. Und einer fand einen Seeweg. Freilich schon lange her. Ist es nicht so?«
    »Gewiß, Frau Baronin, es ist so. Nur der, um den es sich hier handelt, das ist keiner mit einem Seeweg, sondern bloß ein Dichter.«
    »Ach, dessen erinnere ich mich auch, ja, ich habe sogar seinen Namen auf der Zunge. Mit einem großen C fängt er an. Aber Calderon ist es nicht.«
    »Nein, Calderon ist es nicht; es deckt sich da manches, auch schon rein landkartlich, nicht mit dem , um den sich’s hier handelt. Und ist überhaupt kein alter Dichter, sondern ein neuer. Und heißt Joao de Deus.«
    »Joao de Deus«, wiederholte die Gräfin. »Schon der Name. Sonderbar. Und was war es mit dem?«
    »Ja, was war es mit dem ? Dieselbe Frage tat ich auch, und ich habe nicht vergessen, was Lorenzen mir antwortete: ›Dieser Joao de Deus‹, so etwa waren seine Worte, ›war genau das , was ich wohl sein möchte, wonach ich suche, seit ich zu leben, wirklich zu leben angefangen, und wovon es beständig draußen in der Welt heißt, es gäbe dergleichen nicht mehr. Aber es gibt dergleichen noch, es muß dergleichen geben oder doch wieder geben. Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar erst das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut auf dem Ich. Das ist ihr Fluch, und daran muß sie zugrunde gehen. Die Zehn Gebote, das war der Alte Bund; der Neue Bund aber hat ein andres, ein einziges Gebot, und das klingt aus in: ›Und du hättest der Liebe nicht…‹
    Ja, so sprach Lorenzen«, fuhr Woldemar nach einer Pause fort, »und sprach auch noch andres, bis ich ihn unterbrach und ihm zurief: ›Aber, Lorenzen, das sind ja bloß Allgemeinheiten. Sie wollten mir Persönliches von Joao de Deus erzählen. Was ist es mit dem? Wer war er? Lebt er? Oder ist er tot?‹
    ›Er ist tot, aber seit kurzem erst, und von seinem Tode spricht das kleine Heft hier. Höre.‹ Und nun begann er zu lesen. Das aber, was er las, das lautete etwa so: ›… Und als er nun tot war, der Joao de Deus, da gab es eine Landestrauer, und alle Schulen in der Hauptstadt waren geschlossen, und die Minister und die Leute vom Hof und die Gelehrten und die Handwerker, alles folgte dem Sarge dicht gedrängt, und die Fabrikarbeiterinnen hoben schluchzend ihre Kinder in die Höh’ und zeigten auf den Toten und sagten: Un Santo, un Santo. Und sie taten so und sagten so, weil er für die Armen gelebt hatte und nicht für sich .‹«
    »Das ist schön«, sagte Melusine.
    »Ja, das ist schön«, wiederholte Woldemar, »und ich darf hinzusetzen, in dieser Geschichte haben Sie nicht bloß den Joao de Deus, sondern auch meinen Freund Lorenzen. Er ist vielleicht nicht ganz wie sein Ideal. Aber Liebe gibt Ebenbürtigkeit.«
    »Und so schlag’ ich denn vor«, sagte die Baronin, »daß wir den mit dem C, dessen Name mir übrigens noch einfallen wird, vorläufig absetzen und statt

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