Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
›Vorratskammern‹, wie sie genannt werden.«
»Gut zu wissen!« Dagnarus grinste. »Ich habe mich aufs Mittagessen nicht eben gefreut. Ich will mir lieber nicht vorstellen, welch ›heilige‹ Mahlzeiten man mir verabreichen wird. Vermutlich Haferschleim.«
»Ihr werdet gar nichts bekommen, Euer Hoheit«, erklärte Gareth. »Man erwartet, dass Ihr allein von Eurem Geist lebt.«
»Komm schon, das ist doch unmöglich!«, protestierte Dagnarus. »Ich wusste nicht, dass auch Hungern zum … «
»Hört mich an, Euer Hoheit!«, unterbrach Gareth ihn gereizt vor Nervosität. Sie gingen beide ein gewaltiges Risiko ein, und er wünschte sich, der Prinz sei ein wenig ernster. »Die erste Prüfung beginnt noch heute Nachmittag. Das wollte ich Euch sagen.«
»Heute Nachmittag. Gut, dann werde ich ausgeschlafen sein. Welche wird es sein?«
»Die Prüfung des Mitgefühls. Man wird Euch zu den Heilern führen, in jenen Teil des Hospitals, wo die unheilbar Kranken untergebracht sind. Dort werdet Ihr Euch um ihre Bedürfnisse kümmern – sie waschen, ihre Geschwüre verbinden, sie salben, ihre Bettpfannen wegbringen und säubern … «
Dagnarus runzelte missmutig die Stirn. »Ich habe dir doch gesagt, Fleck, das werde ich nicht tun. Ich werde nicht ihre stinkige, ansteckende Luft atmen. Ich werde ihr verfaulendes Fleisch nicht berühren! Ich hatte erwartet, dass du einen Ausweg findest, eine Möglichkeit, wie ich dem entgehen kann.«
»Ich habe mich umgesehen, Euer Hoheit«, entgegnete Gareth. »Ich habe so gut wie möglich dagegen argumentiert, habe erklärt, es sei keine angemessene Prüfung für Euch, einen Soldaten, und darauf gedrängt, Euch etwas Martialischeres zu geben. Ihr dürft dabei nicht vergessen, dass ich nur ein Novize bin. Als Eurem Freund hat man mir zwar eine besondere Stellung zugestanden, aber meine Argumente wiegen gegenüber denen des Hohen Magus und des Rats nur wenig. Sie haben sich geweigert, über meinen Vorschlag auch nur nachzudenken. Dieser Besuch bei den Kranken wird schrecklich sein, Euer Hoheit, aber er wird nur einen Tag und eine Nacht dauern. Und was die Ansteckung angeht, viele Brüder und Schwestern arbeiten dort, ohne sich je angesteckt zu haben, also…«
»Viele, aber nicht alle«, meinte Dagnarus finster.
»Das stimmt, Euer Hoheit.« Gareth schwieg.
»Ich sage dir, Fleck«, fuhr Dagnarus nach einiger Zeit fort, »es gibt für jeden etwas, das ihn über die Maßen entsetzt. Für mich sind das Krankheiten. Als ich noch ein kleiner Junge war, hat man mich dazu gezwungen, meine Mutter zu besuchen, als sie krank war. Ich kann mich immer noch daran erinnern – die Heiler, die auf Zehenspitzen gingen und die bereits stinkende Luft mit giftigem Rauch füllen… sie verabreichten meiner Mutter bittere Arzneien, um den Körper von den üblen Säften zu läutern, und setzten ihr Blutegel an. Ich konnte es nicht ertragen, und ich habe geschrien und um mich getreten, bis ihnen nichts anderes übrig blieb, als mich nach draußen zu bringen.«
Er schwieg einen Augenblick lang, dachte nach und sagte dann leise: »Ich kann es nicht ertragen, Fleck, ich kann es einfach nicht.«
»Dann müsst Ihr eben sagen, dass Ihr es nicht könnt, Euer Hoheit«, erklärte Gareth erleichtert, »und dieser Sache ein Ende machen.«
»Nein«, erklärte Dagnarus störrisch. »Das werde ich nicht tun.«
»Und was habt Ihr stattdessen vor, Euer Hoheit?«, wollte Gareth wissen.
»Ich weiß es noch nicht«, erwiderte Dagnarus. »Mir wird schon etwas einfallen. Zumindest«, fügte er finster hinzu, »werde ich nicht mit leerem Magen hingehen. Lass mich ein wenig schlafen, und dann bring mir etwas zu essen.«
Der Hospitalorden war der am wenigsten geachtete, am häufigsten kritisierte und unterschätzte aller Magierorden – zumindest bei den Menschen. Die Magie, die unter beinahe allen anderen Umständen stabil und verlässlich war, erwies sich als unzuverlässig, wenn es ums Heilen hing. Theologen hatten sich lange über die Ursachen dafür gestritten. Die meisten hingen nun der Theorie an, die vor hundert Jahren der Heiler Demorah, Oberhaupt des Hospitalordens, aufgestellt hatte.
Wenn es um die Heilmagie geht, haben wir es mit Phänomenen zu tun, die man als entgegengesetzte Kräfte begreifen könnte. Die Magie des Heilers versucht, auf eine Person einzuwirken, die von seiner oder ihrer eigenen Magie erfüllt ist. Es ist nur natürlich für die eigene Magie einer Person, sich magischen Einflüssen von außen zu
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