Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
sah, wie Dagnarus diesen Segen mit allem Anschein dankbarer Demut entgegennahm.
»Nun, vielleicht haben wir ihn falsch eingeschätzt«, sagte Reinholt zu sich selbst und zu den Göttern. »Vielleicht stellt dies ja die Wende in seinem Leben dar. Wer unter uns hat sich nicht in der Jugend erst einmal die Hörner abstoßen müssen? Wir müssen mit den Folgen unserer Taten leben und weitermachen. Wir werden sehen, wie er mit den Prüfungen zurechtkommt. Dies wird uns alles über ihn verraten.«
Laut sagte er: »Das Gesetz verlangt, dass Ihr, Dagnarus, Euch den Sieben Prüfungen allein unterzieht, ohne die Hilfe anderer. Die Paladine werden von weitem beobachten, was Ihr tut, was Ihr nicht tut, was Ihr sagt. Danach sollt Ihr beurteilt werden. Seid Ihr damit einverstanden, Dagnarus, Sohn des Tamaros?«
»Ja, Ehrenwertester Hoher Magus«, erwiderte Dagnarus entschieden.
»Die Prüfungen werden sieben Tage dauern. Am Abend des letzten Tages wird sich der Rat der Paladine zusammensetzen und die Berichte der Zeugen anhören. Dann wird der Rat abstimmen. Wenn sie sich zu Euren Gunsten aussprechen, werdet Ihr Euch am nächsten Tag der Verwandlung unterziehen.«
Dagnarus holte tief Luft; seine Augen waren blitzende Smaragde. »Ich verstehe, Ehrenwertester Hoher Magus!«
»Wenn der Rat sich gegen Euch ausspricht, solltet Ihr nicht glauben, dass Euch das zu einer unwürdigen Person macht oder dass Ihr Eure Familie und Eure Freunde enttäuscht oder dass Ihr versagt habt. Indem Ihr diesen Punkt erreicht habt, an dem Ihr Euch jetzt befindet, habt Ihr schon mehr erreicht, als den meisten Männern und Frauen je gewährt wird.«
»Ich
werde nicht versagen!«,
erklärte Dagnarus vehement und betonte jedes Wort mit leidenschaftlicher Intensität, das Gelübde begleitet von einem Ballen der Fäuste.
Der Ehrenwerteste Hohe Magus zog die Brauen hoch. An dieser Stelle drückten die Kandidaten für gewöhnlich ihren demütigen Dank darüber aus, dass man ihnen die Möglichkeit gegeben hatte, sich zu bewähren. Sie sprachen nicht über ihre Entschlossenheit zum Erfolg. Dagnarus' Erklärung, nicht versagen zu wollen, verdarb Reinholts nächste Zeile, die sich mit den Möglichkeiten beschäftigt hätte, aus dem Versagen zu lernen. Also war der Magus weise genug, diesen Satz auszulassen, und kam zum Schluss, der darin bestand, den Segen der Götter auf den Kandidaten herabzuflehen.
Die Zeremonie war vorüber. Der Ehrenwerteste Hohe Magus bat Dagnarus, sich zu erheben. Die drei Paladine traten vor und nahmen ihre Plätze seitlich des Kandidaten und hinter ihm ein – eine symbolische Eskorte. Mit ernsten Mienen begleiteten sie Dagnarus zu der kleinen Zelle, in der er die folgenden Stunden allein verbringen sollte, beschäftigt mit Meditation und Gebet. Hier ließen sie ihn mit ermutigenden Worten und guten Wünschen versehen zurück, die er dankend entgegennahm. Dann schlossen sie die Zellentür hinter ihm.
Dagnarus sah sich in dem schlichten, ungemütlichen Raum um, seufzte und bereitete sich darauf vor, das Beste aus der Situation zu machen. Er warf sich aufs Bett. Den Vrykyl zu schaffen und danach Valura zu trösten hatte ihn seinen gesamten Nachtschlaf gekostet. Man hatte ihm allerdings vor seiner ersten Prüfung mehrere Stunden des Gebets zugestanden. Er hatte vor, diese Zeit zum Schlafen zu nutzen, und er war gerade dabei einzudösen, als ein leises Kratzen an der Wand ihn weckte.
Zunächst dachte er, es wären Mäuse am Werk, aber das Kratzen erklang in regelmäßigen Abständen an der Wand der Zelle, die der Tür gegenüberlag. Dagnarus erhob sich, ging zur Wand und erwiderte die Klopfsignale. Eine sehr, sehr leise Stimme war zu hören.
»Der Schrank! Geht in den Schrank!«
Dagnarus sah sich um und entdeckte einen hohen Schrank in einer Ecke. Als er die Tür öffnete, fand er darin ein sauberes weißes Gewand und ein paar Sandalen, wie sie die Magier im Tempel tragen. Er stieg in den Schrank. Eine Holzleiste an der Rückseite, die etwa eine Handbreit maß, bewegte sich. Gareths Gesicht erschien in der Öffnung.
»Schlau!«, stellte Dagnarus anerkennend fest. »Hast du das gemacht?«
Gareth schüttelte den Kopf. »Nein. Und sprecht leise! Man erwartet von den Magiern, dass sie sich zu gewissen Zeiten des Jahres Tagen des Fastens und der Gebete unterziehen. Jene, denen der Fastenteil des Rituals nicht so recht gelingen will, bitten ihre Freunde, ihnen auf diese Weise Essen zuzustecken. Die meisten Zellen haben diese
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