Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
ihm. Dann bildeten sie mit ihren kleinen Körpern eine Mauer um den Stein, drehten sich um und sahen Lord Gregor mit festem Blick an.
Er hätte den Stein nehmen können. Er hätte ihn gewaltsam entwenden können. Diese Kinder konnten ihn nicht aufhalten, aber sie würden es vermutlich versuchen, und dann hätte er keine andere Wahl, als ihnen wehzutun.
Lord Gregor nahm an, dass der Stein in diesem Fall keine Regenbogen mehr aufblitzen ließe. Sein Schimmer würde sich trüben. Als Paladin hatte er geschworen, die Unschuldigen und Schwachen zu beschützen – Kinder wie diese hier. Er hätte behaupten können, dass die Zwerge ihren Schwur gebrochen und daher das Recht auf den Stein verloren hatten, aber er hatte das Gefühl, dass die Götter diese Begründung nicht anerkennen würden. Wäre Lord Dunner hier gewesen, dann hätte er mit ihm sprechen können. Dunner hatte den Schwur selbst abgelegt, und Dunner hätte die Verantwortung dafür übernehmen können, ihn zu brechen. Aber Dunner war nicht hier, und der Paladin würde den Stein nicht von Kindern stehlen.
Lord Gregor überlegte, was er tun sollte. Endlich entschied er, dass die einzige Möglichkeit darin bestand, sofort nach Vinnengael zurückzukehren, die Situation zu erklären und um Rat zu bitten. Wenn König Helmos forderte, dass er zurückkehrte und den Stein gewaltsam nahm, dann würde Lord Gregor das tun. Aber nur, wenn sein König es verlangte.
Und das konnte sich Lord Gregor nicht vorstellen.
Er verbeugte sich vor den Kindern und dem Stein der Macht und verließ den Tempel.
Die Kinder verabschiedeten sich von dem Stein, versprachen, am nächsten Tag wiederzukommen, und dann verließen sie den Tempel und kehrten in ihr trostloses Leben zurück. Einem Leben, das nun jeden Tag einen Augenblick lang von Regenbögen erfüllt war.
Erst am Abend dieses Tages, nachdem Lord Gregor längst das Portal durchschritten hatte und wieder auf dem Weg nach Vinnengael war, betrat Dunner das Zelt. Es war dunkel im Tempel, nur der Stein der Könige schien einen schwachen Schimmer auszuströmen. Dunner nahm an, dass dies nur Wunschdenken war – oder hatte der Stein tatsächlich ein eigenes inneres Licht? Dunner hätte es nicht genau sagen können.
Er kniete sich vor den Stein, aber an diesem Abend berührte er ihn nicht, wie er es manchmal tat, und erfreute sich nicht an der Wärme, die dann seinen Körper durchdrang und seinen Geist beruhigte. Er war gekommen, um sich von dem Stein der Könige zu verabschieden, denn er würde ihn nie Wiedersehen. Er wusste, dass er einen Schwur gebrochen hatte, denn er war insgeheim Zeuge des Gesprächs zwischen dem Paladin Gregor und den Kindern gewesen. Er würde für den Bruch seines Schwurs, den Stein zurückzugeben, bestraft werden, das war ihm klar. Und er würde seinen Fluch so weit wie möglich von dem Stein wegbringen.
Weit weg von dem Stein und seinen Hütern.
Dunner verließ die Stadt zu Fuß und ging hinaus auf die verlassene Steppe.
Er ritt nicht, denn er war einer der Pferdelosen.
Die Hüter der Zeit
Nördlich von Vinnengael, wolkenhoch in den Drachenbergen, steht das Kloster der Hüter der Zeit. Auf einer Landkarte sieht es nicht so aus, als wäre es weit von Vinnengael entfernt, aber tatsächlich dauert eine Reise zu dem Kloster viele, viele Tage. Es gibt einen Weg dorthin, aber der ist kaum mehr als ein Eselspfad, und er ist uneben und gefährlich und windet sich hin und her wie eine träge alte Schlange, die sich an der Flanke des Bergs sonnt.
Das Kloster ist ein gewaltiges Gebäude aus riesigen Granitblöcken, und die Mauern scheinen direkt aus dem Inneren des Bergs aufzusteigen. Es ist uralt, seine Ursprünge liegen im Dunkeln. Nicht einmal die Hüter selbst wissen, wie und von wem ihr Kloster errichtet wurde, denn wenn man der Legende glauben kann, befand sich das Kloster bereits dort, als sie am Anbeginn der Zeit zu dem Berg gebracht wurden.
Die Hüter selbst glauben, dass das Kloster von den Alten gebaut wurde, einem Volk, das in Loerem lebte, lange bevor Elfen, Menschen, Zwerge oder Orks hierher kamen. Man nahm an, dass die Alten ausgestorben waren, aber sie waren nicht ohne faszinierende Spuren ihrer Existenz dahingegangen. Das Kloster war vielleicht das größte ihrer Werke, obwohl es auch einige gibt, die behaupten, es seien die Alten gewesen, die den Fluss umlenkten, die Klippen bearbeiteten und die sieben Wasserfälle schufen, die später einmal den Palast von Vinnengael umgeben
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