Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
dass jene, die die Portale benutzten, sich an unsere Gesetze halten würden, sobald sie außerhalb seines Machtbereiches waren?
Wie immer, wenn er vor einem Problem stand, wandte sich König Tamaros an die Götter. Er verließ seinen Palast und ging in den Tempel, um dort zu fasten und zu beten. Er blieb neun Tage und neun Nächte dort, schlief auf dem Steinboden einer kleinen Zelle, aß nichts und trank nur Wasser. Ich hatte das Privileg, zu denen zu gehören, die ihn zu jener Zeit bedienten.
Ich sehe ihn noch vor mir, in einem Gewand, das schlichter war als das des einfachsten Novizen, denn er war kein Magus und hätte nie etwas anderes vorgegeben. Sein langes Haar fiel ihm offen auf die Schultern. Er war unrasiert, was ungewöhnlich für ihn war, sein Bart war hell, und er schimmerte im Kerzenlicht. Das Fasten ließ ihn nicht abgehärmt aussehen, sondern brachte die feine Knochenstruktur seines Gesichts zum Vorschein. Ich stellte den Wasserkrug, den ich gebracht hatte, neben ihm auf den Boden. Ich fragte ihn, ob ich sonst noch etwas für ihn tun könnte.
Er sah und hörte mich nicht, und ich wusste, dass er bei den Göttern weilte. Schweigend zog ich mich zurück. Am nächsten Tag verließ Tamaros den Tempel und enthüllte den Willen der Götter.
Zehn Menschen würden auserwählt werden, um durch die Portale zu reisen. Diese zehn würden unsere Botschafter bei den anderen Völkern sein. Sie würden bei ihnen wohnen und ihre Sitten und Gebräuche lernen. Sie würden verantwortlich sein für alle anderen, die durch die Portale kamen, und über jene wachen, die kamen und gingen.«
»Die Paladine«, rief Gareth, der plötzlich verstanden hatte.
»Ja, und dies waren ihre ersten Pflichten«, erklärte Evaristo. »Seitdem ist ihre Macht größer geworden, ebenso wie ihre Verantwortung. König Tamaros suchte im ganzen Königreich nach jenen, die einer solchen Ehre würdig waren. Er hat hohe Maßstäbe für die Paladine aufgestellt – die betreffende Person muss gebildet sein, imstande, zumindest eine oder zwei andere Sprachen zu sprechen, ausgebildet im Zweikampf, um die Schwachen verteidigen zu können, kunstfertig in der Diplomatie, freundlich und voller Mitgefühl, stark und mutig.
Als endlich zehn Kandidaten auserwählt waren, stellte König Tamaros sie den Göttern vor. Es war zu diesem Zeitpunkt, als die Verwandlung – das Wunder der Rüstung – sich zum ersten Mal ereignete, und König Tamaros erfuhr, dass er eine gute Wahl getroffen hatte, die die Götter erfreute.«
»Ich werde die Verwandlung doch zu sehen bekommen, nicht wahr, Evaristo?«, fragte Gareth eifrig, eher an dem Spektakel interessiert als an den religiösen Aspekten der Zeremonie.
»Wenn die Götter es wollen, ja«, erwiderte Evaristo feierlich und mit einem Hauch von Tadel. »Dies ist eine sehr ernste Zeremonie, Gareth, und eine, die niemand leichtfertig auf sich nimmt. Die Verwandlung verlangt von Körper und Geist ihren Zoll. Eine Kandidatin überlebte nicht, sondern stürzte tot auf den Altar nieder. Die Rüstung und ihr Körper hatten sich verbunden und konnten nicht mehr getrennt werden.«
»Heißt das, dass die Götter sie nicht leiden konnten?«, wollte Gareth wissen.
»Zuerst nahmen einige das an. Aber der Ehrenwerteste Hohe Magus wies darauf hin, dass die Götter der Dame die gesegnete Rüstung immerhin tatsächlich gegeben hatten. Es hieß, dass der Geist der Dame das Geschenk der Götter akzeptiert hatte, ihr sterblicher Körper jedoch nicht kräftig genug war, es zu tragen. Sie wurde direkt vor dem Altar begraben, dort, wo sie niedergestürzt war. Alle Kandidaten knien seitdem auf ihrer Ruhestätte, und sie schließen sie stets in ihre Gebete und Gedanken ein. Einige haben sie den Elften Paladin genannt, den Paladin der Geister.«
Gareth machte Eulenaugen, und ihm war beinahe übel vor Sorge. »Das wird doch Prinz Helmos nicht auch zustoßen, Ehrenwerter Magus?«
»Wir beten zu den Göttern, dass dies nicht geschieht«, antwortete Evaristo feierlich, und als er sah, wie bleich der Junge war, fügte er ermutigender hinzu: »Kronprinz Helmos ist jung und kräftig und ausgesprochen würdig. Er wird eine Woche im Tempel verbringen, während derer er sich auf die Verwandlung vorbereitet und sich den Sieben Prüfungen stellt. Ihm wird nichts geschehen.«
Gareth betete immer vor dem Schlafengehen, weil die Kinderfrau ihm die Geschichte von dem Jungen erzählt hatte, der nicht gebetet hatte und von Bären gefressen worden war.
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