Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
Aber normalerweise betete er hastig, damit er nicht so lange auf dem kalten Steinboden knien musste. An diesem Abend betete er auch für Prinz Helmos und bat die Götter ganz besonders nachdrücklich, sich seiner anzunehmen.
Gareth erwähnte seinen neuen Helden Dagnarus gegenüber nicht. Er sprach nicht über Helmos, es sei denn, der Prinz brachte das Thema selbst auf, was er nur selten tat. Instinkt oder kindliche Intuition oder einfach die Tatsache, dass Gareth Dagnarus in diesen vergangenen Monaten gut kennen gelernt hatte – etwas machte dem Prügelknaben deutlich, dass man von ihm erwartete, nur einen einzigen Helden zu haben, und zwar Dagnarus.
Spion des Schilds
Es tat Evaristo nicht sonderlich Leid, Dagnarus als Schüler zu verlieren. Zunächst hatte sich der Lehrer Gedanken gemacht, ja sogar gefürchtet, dass er nun nicht nur mit der Königlichen Familie, sondern auch mit seinen eigenen Vorgesetzten Schwierigkeiten haben würde, weil er bei seiner Aufgabe versagt hatte. Aber niemand tadelte ihn, auch nicht nach längerer Zeit, und daher entspannte sich Evaristo ein wenig und freute sich daran, seinen einzigen verbliebenen Schüler zu unterrichten – Gareth.
Als seine Vorgesetzten einen Bericht über seine Fortschritte verlangten, gestand Evaristo sein Versagen ehrlich ein. Er sorgte allerdings dafür, die Schuld Silwyth zuzuschreiben, dem Kämmerer des Prinzen. Der Lehrer war der festen Überzeugung, dass der Elf für das fortwährende Schwänzen des Prinzen verantwortlich war. Evaristo erklärte, der Elf sei kein angemessener Mentor für den jungen Prinzen, und riet, ihn von seinem Posten zu entfernen.
Am nächsten Morgen, als er wieder zum Schloss gehen wollte, sprach er auch mit seiner Frau darüber.
»War das klug, Liebster?«, fragte sie ihn. »War das ratsam? Der König selbst hat entschieden, dem Elf diese Stellung zu geben.«
»Ich politisiere«, erwiderte Evaristo. »Du hättest das Gesicht der Bibliothekarin sehen sollen, als ich ein Wort gegen Silwyth sprach. Die Frau wurde so bleich, dass man hätte glauben können, ich hätte ihr die Kehle durchgeschnitten. Die Situation ist sehr delikat. Es ist bei den Elfen vor einiger Zeit zu einer Verschiebung der Macht gekommen. Ich weiß nicht genug Einzelheiten – elfische Politik ist immer so blutig und wirr, und man will lieber nichts davon hören, damit es einem nicht den Appetit verdirbt. Aber soviel ich weiß, wurde der ehemalige Schild des Göttlichen, der nur etwa hundert Jahre herrschte, vom derzeitigen Schild vermutlich deshalb ersetzt, weil der ehemalige Schild der Schaffung des Portals von Vinnengael nach Kar-Khitai zugestimmt hat. Der ehemalige Schild bat darum, sich töten zu dürfen, und man hat ihm seine Bitte gewährt…«
»Wie schrecklich!«, rief seine Frau.
»Ich sage dir doch, meine Liebe: Elfenpolitik«, seufzte Evaristo. »Jedenfalls droht der derzeitige Schild nun damit, die Elfenseite des Portals zu schließen. Botschafter eilen zwischen Vinnengael und dem Elfenland hin und her. Selbstverständlich geht es nur um Handel und Lizenzen. Die Elfen haben in Wirklichkeit nicht vor, ihre Seite des Portals zu schließen. Sie haben nur etwas gegen den Preis, der elfischen Kaufleuten dafür abverlangt wird, ihre Güter hier auf den Markt bringen zu dürfen. Das ist alles.«
»Dieser arme Elf hat sein Leben wegen Marktzöllen verloren?«, fragte die Frau bedrückt.
»Nein, nein. Das ist nur ein Teil davon. Es hatte etwas mit der Beratenden Ahnfrau zu tun – dem Familiengeist. Die Beratende Ahnfrau des derzeitigen Schilds hat ihm geraten, den ehemaligen Schild herauszufordern oder so ähnlich.«
»Geister werden dort als Berater betrachtet?« Evaristos Frau war immer verblüffter.
Evaristo lächelte sie liebevoll an. »Ich sehe, dass ich dir einen Kurs in elfischen Bräuchen geben muss, meine Liebe. Jeder Elfenhaushalt verlässt sich auf seinen eigenen Ahnengeist. Aber ich bin schon beinahe zu spät dran für den Unterricht. Was für ein reizendes Kind dieser Gareth ist, gehorsam und empfindsam! Er wird einen hervorragenden Magus abgeben. Ich wünschte beinahe, er wäre nicht so gut mit dem Prinzen befreundet. Aber Gareth ist noch jung, und Dagnarus' Einfluss auf ihn wird zweifellos mit der Zeit nachlassen. Und ich bin über alle Maßen erfreut, dass Gareth Helmos so bewundert. Ein erheblich passenderes Vorbild.«
»Da bin ich sicher, aber was hat das alles mit dem Kämmerer zu tun?«
Evaristo hörte ihre Frage nicht mehr.
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