Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
erbärmlichste Bettler in Vinnengael hier hereinkam und irgendetwas verlangen konnte? Wie sollten die Menschen die Gesetze des Königs achten, wenn sie glaubten, sich einfach über ihn hinwegsetzen zu können, wenn sie unzufrieden waren?
Tamaros setzte sich durch, und das Portal wurde im Tempel der Magier gebaut, damit alle es benutzen konnten. Aber nur wenige taten es. Das Leben war gut. Die Leute waren zufrieden. Sollten die Götter doch im Himmel bleiben. Sie wurden auf der Erde nicht gebraucht. Daher besuchten nur wenige das Portal.
Auch jene, die es eher zufällig sahen – und das waren wenige, denn es befand sich an einer abgelegenen Stelle des Tempelkomplexes –, waren enttäuscht. Sie erwarteten einen großartigen, von Sonnenlicht durchfluteten Raum mit hoher Kuppeldecke, aber sie erblickten nur eine kleine Zelle, ähnlich der eines Novizen. Sie schauten sich verblüfft um und hatten insgeheim das Gefühl, dass man sie betrogen hatte.
Es war Tamaros selbst, der entschieden hatte, wie das Portal aussehen sollte. Er trat in Demut vor die Götter, als eines ihrer Kinder, nicht als König, und daher kam er in einem Zimmer zu ihnen, das kaum größer war als ein Schrank. Das Portal lag im ruhigsten Teil des Gebäudes, in einem Flügel, in dem man den Eindruck haben konnte, dass selbst die Steine der Mauern von Schweigen zusammengehalten wurden.
Obwohl allen bekannt war, dass das Portal existierte, wussten nur wenige im Tempel, wo es zu finden war. Tamaros bog von einem Hauptkorridor in einen schmalen Flur ab, der kaum breit genug war für einen Mann von durchschnittlicher Größe. Dieser Flur war recht lang, mindestens fünfzig Schritte. Am Ende befanden sich zwei Stufen, die nach unten führten, zwei weitere nach oben, und dann kam eine Tür. Diese Tür führte Tamaros in einen kleinen, fensterlosen Raum.
Dieser Raum erschien auf keinem der Pläne, die zum Bau des Gebäudes verwendet worden waren. Vor dem Segen durch die Götter wurde diese kleine Zelle scherzhaft als Petras Kästchen bezeichnet – Petra war der Name des Architekten. Es hieß, dass es Petra erst im letzten Augenblick bemerkte, dass seine Pläne nicht stimmten, noch Platz übrig war und er diese Kammer eingebaut hatte, damit der Rest des gigantischen Puzzlespiels, das der Tempel der Magier darstellte, wieder zusammenpasste.
Der Architekt selbst hatte dies immer vehement abgestritten. Er behauptete, durch eine Vision zur Hinzufügung dieser Kammer inspiriert worden zu sein. Selbstverständlich glaubte ihm niemand bis zu dem Tag, an dem die drei anderen Portale gebaut wurden. An diesem Tag war König Tamaros direkt auf die kleine Kammer zugegangen und hatte verkündet, dies sei das Portal der Götter. Petra wurde plötzlich von seinen Verwandten und Freunden mit Ehrfurcht behandelt, und von diesem Tag an traute ihm niemand mehr so recht.
Der Rektor der Tempelschule fühlte sich geehrt, den König zum Portal begleiten zu dürfen. Er öffnete das Zauberschloss, mit dem die Tür verschlossen war. Die Diener kamen hier von Zeit zu Zeit her, um das kleine Zimmer sauber zu halten, fegten den Boden, staubten den Altar ab und achteten darauf, dass sich keine Mäuse in der Matratze einnisteten, aber ansonsten betrat niemand den Raum.
Der Rektor bat den König, ihn zu entschuldigen, und ging voraus in die Zelle, sah sich sorgfältig um und überzeugte sich davon, dass alles ordentlich und sauber war. Tamaros ertrug diese Verspätung geduldig. Ihm kam es immer so vor, als würde die Zeit sich verlangsamen, wenn er das Portal durchschritt. Im Palast strömten die Minuten in einem rauschenden Fluss an ihm vorbei. Sobald er das Portal durchschritt, verlangsamte sich die Strömung, bis er das Gefühl hatte, die einzelnen Tropfen voneinander unterscheiden zu können, wenn er in den dunklen Teich der unwiederbringlichen Vergangenheit fiel.
Es roch nach Kerzenwachs und alten Rosen. Einer der Diener hatte Rosenblätter aufs Bett gestreut. Der Rektor runzelte über solche Spielereien die Stirn, aber Tamaros freute sich. Der Duft nach Rosen erinnerte ihn immer an seine geliebte Frau. Novizen betraten hinter dem Rektor die Zelle. Einer brachte einen Krug Wasser für den König mit, ein anderer hatte einen Nachttopf und eine Waschschüssel. Sie stellten alles vorsichtig ab, zitternd vor tödlicher Angst, ihrem König so nahe zu sein, und weil sie befürchteten, zu viel Lärm zu machen. Tamaros sah die jungen Leute mit so freundlichen Blicken an, dass sie sich
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