Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Kopf. Sie half Bashae, das Lager abzubrechen, aber sie wirkte zerstreut und nachdenklich und antwortete nicht auf seine wiederholten Fragen. Endlich sagte sie, er solle ihr nicht auf die Nerven gehen.
Jessan bewunderte die Schönheit des Sonnenlichts auf dem Wasser und beruhigte sich ein wenig. Nun tadelte er sich dafür, den Ärger über die schlaflose Nacht an seinen Begleitern ausgelassen zu haben. Als sie auf ihn zukamen, strengte er sich ganz besonders an, guter Laune zu sein – seine Art, sich zu entschuldigen.
»Nach einem halben Tag zu Fuß sollten wir an einer Stelle sein, wo wir das Boot im See absetzen können«, meinte er vergnügt. »Wir kommen sicher rasch weiter. Es gibt einen Weg. Wenn du das Boot leichter singen würdest – «
»Das Böse ist letzte Nacht nah an unser Lager gekommen«, erklärte die Großmutter abrupt.
Jessans gute Stimmung verschwand, war weggebrannt wie der Morgennebel. Er starrte die alte Frau entsetzt an und wusste nicht, was er sagen sollte.
»Es ist vorübergegangen«, fuhr sie fort und illustrierte das mit einer Geste. »Aber es war da.«
Jessan öffnete den Mund, schloss ihn wieder, befeuchtete sich die Lippen. »Ich dachte, ich hätte etwas gehört. Ich bin aufgewacht, aber ich konnte nichts sehen.«
Die Großmutter starrte ihn an, als wolle sie ihm in die Seele blicken. Dem jungen Mann war unter diesem Blick sehr unbehaglich zumute.
»Zumindest ist es jetzt weg«, sagte er schulterzuckend und mit einem Versuch, lässig zu wirken. Er drehte sich um und schirmte die Augen mit der Hand ab, um zum Weg hin zu spähen.
»Ja«, sagte die Großmutter. »Es ist weg. Im Augenblick zumindest.«
»Was glaubst du, was es war, Großmutter?«, fragte Bashae neugierig. »Ein Bär, der uns töten wollte? Wölfe?«
»Der Bär und der Wolf sind nicht böse«, erklärte die Großmutter tadelnd. »Wenn sie töten, dann tun sie das aus Furcht oder aus Hunger. Nur Menschen töten aus der Finsternis ihres Herzens heraus.«
»Niemand hat letzte Nacht versucht, uns zu töten«, sagte Jessan ungeduldig, denn er war der Ansicht, dass dies nun weit genug gegangen war.
Ohne einen Dank nahm er Bashae seine Decke ab und schwang sich das Seil, mit dem sie zusammengebunden war, über die Schulter. »Ich habe heute früh nach Spuren gesucht. Es gibt keine – das könnt ihr ebenso sehen wie ich.«
»Ich habe nicht gesagt, dass das Böse auf Füßen einherging«, erklärte die Großmutter würdevoll.
Sie begann, mit ihrer hellen, dünnen Stimme zu singen. Nach einem weiteren, langen Blick zu ihr hinüber drehte sich Jessan um und hob sein Ende des Bootes hoch.
»Und?«, fragte er Bashae. »Willst du da einfach nur so rumstehen?«
Bashae schaute von einem grimmigen Gesicht zum anderen. Er band seine eigene Decke fest, hängte sich den Rucksack über die Schulter und hob sein Ende des Bootes hoch. Sie machten sich auf den Weg, der schon seit Jahrhunderten am Fluss entlangführte. Die Großmutter folgte ihnen. Die Steine an ihrem Rock klickten, die Silberglöckchen klingelten, und der Kochtopf, der in einer Kerbe oben am Augenstock hing, klapperte.
»Sein Bett muss letzte Nacht voller Ameisen gewesen sein«, sagte Bashae, aber er achtete darauf, nur mit sich selbst zu sprechen.
Sonnenschein, frische Luft und die Anstrengung vertrieben bald die Schrecken des Traums. Jessan entspannte sich und begann nach ein paar Meilen, ein Wanderlied zu singen. Bashae schloss sich vergnügt dem Gesang an; Pecwae mögen keinen Streit und verzeihen gerne und leicht. Die Großmutter schwieg, aber das Lied schien ihr zu gefallen, denn sie veränderte den Rhythmus ihrer Schritte, damit die Silberglöckchen passend zum Lied läuteten.
Als sie an den Stromschnellen vorbeikamen, blieben sie stehen, um voller Ehrfurcht zuzusehen, wie das Wasser über Felsen floss, die schon vor langer Zeit glatt geschliffen worden waren. Das hier war kein Wasserfall und keine Kaskade. Das Wasser stürzte nicht tief hinab, sondern floss beinahe lautlos und nur mit einem Gurgeln nach unten, und es blieb dabei klar. Sie konnten die Steine am Grund erkennen, sahen sogar die Fische springen, die offenbar keinen Schaden nahmen, denn im Wasser weiter unten gab es ebenfalls Fische, die ruhig davonschwammen.
Jessan berichtete, sein Onkel habe ihm erzählt, in einer bestimmten Jahreszeit würden die Fische tatsächlich stromaufwärts schwimmen und aus dem Wasser und die Stromschnellen hinaufspringen. Bashae lächelte höflich. Der Pecwae
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