Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
gekommen waren, ging er wie betäubt umher, und starrte staunend diese hohen Steingebäude an – einige von ihnen hatten drei Stockwerke – die in den Himmel aufzuragen schienen. Er starrte auch die Nimoreaner mit offenem Mund an, denn es kam ihm so vor, als hätten sie alle ihre Haut in einem tiefen, glänzenden Schwarz bemalt.
Er konnte in einem einzigen Augenblick mehr Leute an einer Stelle sehen, als er auf dieser ganzen Welt für möglich gehalten hätte. Er war beinahe taub vom Lärm der Wagen, die über Pflastersteine rumpelten, den klappernden Pferdehufen, den Händlern, die ihre Waren anpriesen, Freunden etwas zuriefen oder sich mit anderen Händlern stritten. Seine Knie zitterten, ihm war übel und schwindlig, und er konnte sich kaum bewegen. Also blieb er wie angewurzelt stehen, bis Jessan ihn schubste und ihn streng anwies, nicht so dumm zu glotzen wie ein Pecwae, der zum ersten Mal eine Stadt sah.
»Aber das bin ich doch!«, erklärte Bashae.
»Du musst aber nicht so
aussehen«,
sagte Jessan. »Mach den Mund zu und beweg dich.«
Der Großmutter war nicht anzumerken, ob sie eingeschüchtert war. Sie ging selbstsicher auf die Menschenmenge zu, mit klickendem Rock und klickernden Silberglöckchen, wobei sie mit ihrem Achataugen-Stock auf den Boden stampfte, und ihr scharfer Blick schoss hierhin und dorthin. Zumindest dafür war Jessan dankbar. Er selbst war insgeheim ebenfalls von dem überwältigt, was er sah, hörte und roch, aber wie es sich für einen Trevinici gehört, zeigte er es nicht. Seine Haltung geriet allerdings etwas ins Wanken, als er beinahe von einem Pferdewagen überfahren worden wäre, weil er nicht daran gedacht hatte, nach so etwas Ausschau zu halten, bevor er auf die Straße trat.
Bashae zog seinen Freund gerade noch rechtzeitig vor den Pferdehufen weg. Der Fuhrmann fluchte und hob im Vorbeirasen die Peitsche. »Barbar!« schrie er in Naru, der Sprache, die sowohl in Nimra als auch in Nimorea benutzt wurde. Zum Glück verstand Jessan diese Sprache nicht.
»Der Idiot hätte mir aus dem Weg gehen sollen«, knurrte Jessan, starrte wütend hinter dem Wagen her und noch wütender auf die Leute in der Umgebung, von denen einige zu lachen begonnen hatten.
Jessan sah sich um und war insgeheim verwirrt von diesem Irrgarten von Straßen, in denen es vor Betriebsamkeit nur so wimmelte.
Die Trevinici hatten ihm erklärt, wo er sich hinwenden müsse, aber nun konnte er keines der Zeichen finden, die sie angegeben hatten: Ein Schild mit einer Krähe, die eine Münze im Schnabel hielt, ein Gebäude, das aussah wie drei Häuser aufeinander, eine Person aus Stein inmitten eines Blumenkreises. Die Anweisungen gerieten in seinem Kopf durcheinander; er hatte vergessen, was er als Erstes finden sollte und wusste schon nicht mehr wohin, bevor er auch nur richtig begonnen hatte.
Aber er konnte vor den Pecwae keine Schwäche zeigen, denn sie verließen sich auf ihn, also ging er mit aufgesetztem Selbstvertrauen, aber schwindender Hoffnung einfach in die nächstbeste Straße hinein. Es heiterte ihn ein wenig auf, dort ein Schild mit einer Krähe zu sehen, allerdings hielt die Krähe einen Bierkrug in den Klauen und keine Münze im Schnabel. Und schon die nächste Straße, in die er einbog, war eine Sackgasse. Sie mussten umkehren, und Jessan murmelte, er habe etwas sehen wollen, das sich am Ende der Gasse befand.
Die Sonne stieg höher. Sie waren den ganzen Morgen unterwegs und fanden kein Zeichen von Drachen oder Drachenbauern. Bashae hinkte inzwischen, denn seine Füße waren wund von den Pflastersteinen. Die Großmutter ging unbeirrt weiter, wurde aber langsamer und stützte sich schwerer auf ihren Stock. Jessan musste sich an die freundliche Warnung des Torwächters erinnern, denn die Pecwae erregten einige Aufmerksamkeit, und durchaus nicht nur gutwillige. Er nahm die Hand nicht von Bashaes Schulter.
»Lass uns diesen Drachenbauer suchen, Jessan«, sagte Bashae und blieb stehen, um mitleidig ein armes Kind anzuschauen, das in Stein verwandelt worden war und Wasser spuckte. Er hatte in dieser Stadt schon einige Steinleute gesehen und konnte nur annehmen, dass es sich um eine schreckliche Strafe handelte. Sofort befürchtete er, aus Versehen selbst irgendein Gesetz zu brechen und so zu enden.
»Mir tun die Füße weh, und ich mag diese Stadt nicht.«
Jessan mochte die Stadt auch nicht. Er wollte unbedingt den Drachenbauer finden, aber er hatte keine Ahnung, wo er das tun sollte.
Weitere Kostenlose Bücher