Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
einrieb, und nach Räucherwerk.
Sri wandte sich Jessan zu. »Weißt du, warum die Wachen dir den Eintritt verweigern wollten?«
Jessans Gesicht wurde selbst im glühenden Licht der Holzkohlen deutlich rot. »Ich – ja«, sagte er nach einem Moment der Unsicherheit. »Ja, ich glaube, ich weiß es.«
»Als die Wachen dich ansahen, bemerkten sie eine Fistel, ein Geschwür in deinem Geist. Ich weiß es, denn ich sehe es ebenfalls. Die Wunde befindet sich nicht hier.« Sri legte die Hand auf sein Herz. Ihre Berührung war sanft, aber sie schien ihm dennoch wehzutun, denn er zitterte. »Sie befindet sich auch nicht hier.« Sie legte die Finger mit den langen Nägeln sachte auf seine Stirn. »Bitte hebe die Hände.«
Jessan tat, was sie ihm gesagt hatte, und hielt ihr die Handflächen entgegen.
»Das Geschwür ist hier«, sagte Sri und zeigte auf seine rechte Handfläche. Sie berührte sie nicht.
Jessan ballte unwillkürlich die Faust, als befände sich dort tatsächlich eine Wunde, obwohl die Haut unverletzt war.
»Ich habe ein Messer, ein Artefakt der Leere«, sagte er. Dann sah er Sri in die Augen und lieferte ihr seine ganze Seele aus. »Ich habe es einem Geschöpf der Leere abgenommen, einem sogenannten Vrykyl. Ich wusste, dass es falsch war. Der Zwerg hatte mich gewarnt, ebenso wie der sterbende Ritter. Aber ich wollte dieses Messer haben, und ich hörte nicht zu. Ich wusste, dass es falsch war«, wiederholte er, »aber ich wusste nicht, dass das Messer selbst böse war. Das müsst Ihr mir glauben.« Er schauderte und hielt weiter die Fäuste geballt. »Ich wusste nicht, dass es… dass es aus Menschenknochen bestand. Nun, da ich es weiß, will ich es nie wieder berühren oder sehen. Ich will es loswerden.«
»Einer dieser Vrykyl ist auf dem Weg, um das Messer zurückzuholen«, fügte Bashae hinzu. »Die Großmutter hat das im Feuer gesehen und uns gezeigt. Jessan hat es auch gesehen.«
»Das Messer ist ein Blutmesser«, erklärte Arim. »Ein mächtiges Artefakt der Leere. Bashae hat Recht. Einer dieser Vrykyl folgt Jessan.«
»Ich bringe jene, die ich eigentlich beschützen sollte, in Gefahr«, erklärte Jessan. »Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Ich bin hierher gekommen, weil ich hoffte, dass die Götter das Messer nehmen und zerstören könnten.«
»Wir werden sehen, ob die Götter es akzeptieren.« Sri zeigte auf das Kohlebecken. »Wirf das Messer ins heilige Feuer, Jessan.«
Jessan nahm das Messer aus der Scheide. Er berührte es nur widerstrebend, aber andererseits wollte er es unbedingt loswerden. Das Knochenmesser schimmerte auf unheimliche, geisterhafte Weise in den rötlichen Schatten. Jessan hielt das Messer vorsichtig, näherte sich dem Becken und versuchte, es auf die heißen Kohlen fallen zu lassen. Mit verblüffender Geschwindigkeit veränderte das Messer die Gestalt und wickelte sich um seine Hand.
Jessan keuchte entsetzt auf. Er versuchte, das Messer abzuschütteln, aber es klammerte sich an ihn, nicht wie eine Schlange, sondern eher wie eine Kette, die ihn zum Gefangenen machte.
Mit einem Schmerzensschrei riss Jessan die Hand zurück. Sobald das Messer sich weit genug vom Zorn der Götter entfernt befand, nahm es wieder seine ursprüngliche Gestalt an.
Schaudernd warf Jessan es auf den Boden.
»Ich muss es loswerden!«, rief er entsetzt und starrte das Messer hasserfüllt an. »Wenn die Götter es nicht nehmen wollen, dann werfe ich es ins Meer von Redesh – «
Sri schüttelte den Kopf. »Das Meer ist nicht tief genug. Der Ozean ist nicht tief genug. Jede Schlucht hat einen Grund. Ein solches Artefakt kann nicht verloren gehen, wenn es gefunden werden möchte. Die anderen Vrykyl wissen, dass das Blutmesser noch existiert. Sie suchen danach. Das Messer würde seinen Weg in das Netz eines Fischers finden oder an den Strand gespült und von einem Kind gefunden werden, das dort Muscheln sucht. Das Messer würde einen neuen Besitzer haben, einen Unschuldigen, der nicht wüsste, was er da gefunden hat. Ist es das, was du willst?«
Jessan schüttelte den Kopf. Er konnte im Geist die Stimme seines Onkels hören.
Ein Mann muss die Verantwortung für seine Taten übernehmen. Nur ein Feigling versucht, anderen die Schuld zu geben oder seinen eigenen Anteil zu leugnen, weil er Angst vor der Strafe hat. Es gibt nur noch eins, was feiger ist, nämlich angesichts eines Feindes zu fliehen.
»Ich weiß, es wird großen Mut brauchen, das Knochenmesser weiter zu besitzen, Jessan«, sagte
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