Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Sri. »Aber ich glaube, du hast diesen Mut.«
»Ich bin nicht so sicher«, erwiderte Jessan leise und bedrückt. »Jede Nacht sehe ich die Augen und höre den Hufschlag. Jede Nacht frage ich mich, ob die Augen mich in dieser Nacht entdecken werden. Jede Nacht weiß ich, dass der Hufschlag näher kommt. Und das Schlimmste daran ist, dass ich jene, die mich begleiten, in Gefahr bringe.«
Jessan richtete sich gerade auf. »Es ist meine Bürde. Sie liegt auf meinen Schultern. Ich werde das Messer behalten, aber ich werde meine Freunde jetzt verlassen. Ich kehre zu meinem Volk zurück, zu den anderen Trevinici – «
»Aber Jessan«, warf Bashae ein, »das geht nicht. Man hat uns beide auserwählt. Uns beide zusammen. Ich habe keine Angst vor der Gefahr. Nicht, wenn du bei mir bist. Wirklich nicht.«
»Hör doch auf, den Tatsachen auszuweichen, Bashae! Du bist dumm – «
»Dann sind auch die Götter dumm«, warf Sri ein. »Ihr seid durch eine Schnur, die aus Licht und Dunkelheit gewoben wurde, miteinander verbunden. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Und so muss es weiter gehen, bis eure Reise zu Ende ist.«
»Ich fürchte, du wirst mich nicht so schnell los, Jessan«, meinte Bashae vergnügt.
Jessan lächelte nicht. Seine Miene war grimmig, sein Blick finster.
»Haben die Götter
deine
Frage nun beantwortet?«, sagte Sri plötzlich zu Arim.
»Ja, Tochter der Götter«, erwiderte Arim.
»Dann wirst du sie führen, wohin sie gehen müssen?«
»Ja, Tochter der Götter, ich werde sie führen und schützen.«
Jessan verzog bei diesen Worten höhnisch den Mund. Der junge Krieger warf einen Seitenblick auf die schlanke Gestalt des Drachenbauers und seine feingliedrigen Hände, die dem jungen Krieger so vorkamen, als wären sie nur dazu gut, Vögel und Schmetterlinge zu malen. Er sagte nichts, aber er glaubte, dass man ihm nur eine weitere Last aufgeladen hatte, eine weitere Person, um die er sich kümmern musste.
»Die Götter mögen dich behüten«, sagte Sri. Sie nahm einen Ring vom Finger und reichte ihn Arim. »Nimm das mit zum Ministerium der Elfen. Es wird euch ohne Schwierigkeiten nach Tromek bringen.«
»Die Götter mögen mit Euch sein, Tochter der Götter.« Arim war dankbar für den Ring, denn er zeigte das königliche Siegel und würde seinen Weg erheblich leichter machen. »Darf ich es wagen, um eine weitere Gunst zu bitten, bevor ich gehe?«
»Und was wäre das?« In Sris Augen spiegelte sich das warme Glühen der Kohlen wider.
»Ich möchte die Götter um Vergebung bitten, weil ich ihre Weisheit bezweifelt habe«, sagte Arim demütig.
»Dir ist bereits vergeben«, antwortete Sri.
Nachdem sie den kleinen Fluss Nabir überquert hatten, der aus dem Meer von Redesh entsprang, ritten Wolfram und Ranessa noch weiter nach Süden zum Ufer des Meers von Kalor. Ihre Reise verlief friedlich – ein wenig zu friedlich für Wolframs Geschmack. Auf diesem Abschnitt des Weges begegneten sie niemandem, und das mitten im Sommer während der besten Reisezeit. Wolfram hatte sich, als sie sich ihrem Ziel dem Hafen Karfa Len in Karnu näherten, schon auf ein paar nette Reisegefährten gefreut, und er war enttäuscht, niemanden zu finden. Eine geteilte Reise ist eine kürzere Reise, sagte das Sprichwort, und der Zwerg hatte sich niemals sehnlicher eine kürzere Reise gewünscht.
Wolfram beschwerte sich darüber, bis Ranessa es nicht mehr hören konnte und ihm sagte, er solle endlich den Mund halten.
»Es sind eben keine Leute unterwegs«, meinte sie. »Es gibt sowieso zu viele Leute auf der Welt. Ich genieße Einsamkeit und Schweigen, besonders Schweigen.«
Wolfram war beleidigt und lieferte ihr, was sie wollte. Wenn er etwas sagte, dann nur zu seinem Pferd, und selbst dann achtete er darauf, dass Ranessa außer Hörweite war. Im Lauf der Zeit wich Wolframs Enttäuschung allerdings dem Unbehagen. Es gab nur zwei Dinge, die Karawanen und Kaufleute davon abhalten würden, diese Straße zu benutzen: Schnee und Krieg. Es gab keinen Schnee. Also blieb nur noch Krieg.
Der Hass, der zwischen Dunkarga und Karnu herrschte, führte dazu, dass die beiden Länder aus dem geringsten Anlass zu kämpfen begannen. Hunderte konnten wegen eines gestohlenen Huhns sterben. Wolfram hatte nicht vor, in einen solchen Krieg verwickelt zu werden. Von disziplinierten Soldaten hatte er nichts zu befürchten, aber gesetzlose Banden nutzten Kriege nur zu gerne aus, um das Land zu plündern und hilflosen Reisenden aufzulauern.
Also
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