Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Tempels herrschten Frieden und Gelassenheit. Die Menschen sprachen nur leise. Flöten- und Glockenspielklänge und das Plätschern von Wasser bildeten einen beruhigenden Hintergrund für die Gebete der Frommen. Hinter dem Bronzetor befand sich ein Hauptaltar, beladen mit Brot und Obst, Ballen von Seide, geschnitzten Holzschalen und anderen Opfergaben, einige üppig und kostbar, andere schlicht. Die Priesterin trat zur Seite, während Arim sich dem Altar näherte und eine Opfergabe niederlegte, Papier mit Bildern darauf, das die Elfen, wie er sagte, als Geld benutzen.
»Ich habe nichts mitgebracht«, sagte Jessan erschrocken.
»Ich schon«, erklärte Bashae. »Wartet einen Moment!«
Er griff in einen Beutel und holte einen Türkis heraus. Dann ging er feierlich zum Altar und legte den Stein darauf.
»Passt gut auf den Stein auf«, sagte Bashae zu der Priesterin. »Er ist sehr mächtig. Und man kann nie genug Schutz haben.«
»Das werde ich tun, und ich danke dir«, erwiderte die Priesterin.
Bashae sollte es nie erfahren, denn er würde Nimorea nicht Wiedersehen, aber als Sri, Priesterin und Tochter der Königin, ein paar Monate später selbst Königin wurde, ließ sie den Türkis in ihre Krone setzen. Und der Stein war wohl wirklich mächtig, denn Königin Sri überlebte einen Attentatsversuch durch einen Vrykyl als erste und einzige Person, der dies gelingen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. Nachdem sie ihre Opfer dargebracht hatten, gingen die meisten Nimoreaner in den Hauptsaal und knieten dort vor den Bildern der Götter nieder, um zu beten. Die drei Besucher konnten nur einen kurzen Blick in diesen wunderbaren Saal werfen, denn die Priesterin führte sie einen schmaleren Flur entlang.
Der Tempel war ein wahres Labyrinth aus Tunneln und Räumen, eine kleine unterirdische Stadt. Hier wohnten jene, die den Göttern dienten, Priester und Priesterinnen, ihre Kinder, Diener und Schüler. Die Königin selbst wohnte nicht hier, sondern im Palast in Mynamin, einem wunderbaren Herrenhaus, das auf einem Felsvorsprung im Vorgebirge der Faynir-Berge stand. Sie hatte allerdings auch Gemächer im Tempel und teilte ihre Zeit gleichmäßig zwischen weltlichen und geistlichen Pflichten auf.
Die Wege, die in den inneren Teil des Tempels führten, waren nicht leicht zu erkennen. Es gab viele Geheimtüren, deren Öffnungsmechanismus nur von jenen gefunden werden konnte, die dahinter lebten.
Sri führte sie zu einem Raum ganz am Ende des Korridors. Zunächst kam es ihnen so vor, als hätten sie eine Sackgasse erreicht, denn die Tür, durch die sie diesen Raum wieder verlassen sollten, hatte ausgesehen wie ein Teil der glatt polierten Mauer des Flurs. Als Sri jedoch die Hand auf eine bestimmte Stelle legte und die Handfläche fest gegen den Stein drückte, ging die Tür auf, beinahe lautlos an gut geölten Türangeln. Sri bat die Besucher einzutreten.
Arim, der an ihr vorbeigeschaut hatte, war zutiefst von Ehrfurcht erfüllt. Demütig senkte er den Blick und kniete beinahe sofort nieder. Er wünschte sich, er hätte Jessan und dem Pecwae sagen können, welch einzigartige Ehre ihnen hier wiederfuhr, aber er wagte nicht zu sprechen. Wenn die Priesterin wollte, dass ihre Gäste es erfuhren, würde sie es ihnen selbst sagen.
»Das hier ist mein privater Altar«, erklärte Sri. »Ich heiße dich und deine Freunde willkommen, Arim Drachenbauer.«
»Ich danke Euch für diese Ehre, Tochter der Götter«, sagte Arim.
Sein Gesicht war den Menschen im Palast durchaus vertraut, denn unter dem Vorwand, die königlichen Drachen herzustellen und zu reparieren, hatte er sich im Auftrag der Königin um mehrere wichtige Staatsangelegenheiten gekümmert. Er hatte aber niemals Sri zu sehen bekommen und nicht gewusst, dass die Prinzessin auch nur eine Ahnung von seiner Existenz oder von seiner Tätigkeit hatte. Als er jedoch darüber nachdachte, überraschte es ihn nicht. Als Thronerbin musste sie über alles Bescheid wissen, was im Reich ihrer Mutter geschah.
Arim stellte seine Begleiter vor. Sowohl er als auch die Priesterin bedienten sich der Gemeinsamen Sprache, denn sie wollten ihren Gästen gegenüber höflich sein. Bashae war aufgeregt und ehrfürchtig. Jessan konnte den Blick nicht von Sri abwenden. Er verbeugte sich, schwieg aber.
Das kleine Zimmer lag in tiefem Schatten. Das einzige Licht kam von den Kohlen, die in einem Becken auf einem Podest glühten. Es duftete nach den Ölen, mit denen Priesterin Sri sich die Haut
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