Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
das einmal zu erleben. Er traute ihr immer noch nicht über den Weg und hielt sie weiter an der Hand fest, als er erneut auf das Kloster zuging. Sie klammerte sich an ihn wie ein verängstigtes Kind. Als sie ins Licht kamen und Wolfram sie noch einmal ansah, erschrak er, weil sie so bleich geworden war.
»Geht es darum, was ich dir über die Mönche gesagt habe, Mädchen? Macht dir das solche Angst? Es kann sein, dass ich ein kleines bisschen übertrieben habe. Die Mönche sind sehr freundlich. Sie würden keinem etwas zu Leide tun. Du bist ein wenig seltsam, Mädchen, aber sie sind an seltsame Leute gewöhnt. Sie werden schon dafür sorgen, dass du dich hier zu Hause fühlst.«
Ranessa achtete nicht auf seine tröstenden Worte. Sie starrte weiterhin das Kloster an, die Augen so weit aufgerissen, dass Wolfram sehen konnte, dass sich das gesamte Granitgebäude mit seinen vielen Fenstern in ihren dunklen Pupillen spiegelte.
Wolfram hielt sie weiter fest, damit sie nicht in die Nacht hinaus floh, und ging zusammen mit ihr die breite Treppe zum Eingang hinauf.
Es gab keine Torwache, denn es gab auch kein Tor. Kein Pförtner war da, um auf das Klopfen eines Fremden zu reagieren. Wer immer zu diesem Kloster kommt, wird nicht als Fremder betrachtet. Die Fenster haben keine Gitter und kein Glas, sondern lassen das Sonnenlicht und die Nacht, den Wind und das Wasser hinein. Wolfram führte Ranessa unter dem Torbogen durch in das riesige Gemeinschaftszimmer. Eine große Feuergrube befindet sich in der Mitte. Jeden Tag schleppen die Omarah Unmengen Holz für das Feuer hier herein. Es brennt stets ein Feuer, selbst im Sommer, denn auf dem Berggipfel ist es kühl. Die Mönche halten für ihre Gäste Erfrischungen bereit. In der Mitte des Zimmers steht ein großer Holztisch voller einfachem, aber nahrhaftem Essen – Brot und Käse und Nüsse. Außerdem gibt es große Krüge mit kaltem Bier und einen Kessel mit dampfendem Glühwein.
Auch die Schlafgelegenheiten sind einfach. Alle, die ins Kloster kommen, sei es ein König oder ein Waldarbeiter, erhalten eine Binsenmatte und eine Wolldecke und einen Platz auf dem Steinboden nahe dem Feuer. Vergeblich erklärt ein wichtiger karnuanischer General, dass er sein eigenes Schlafgemach braucht. Vergeblich bietet ein Kaufmann aus Vinnengael Silbertams für ein Zimmer. Kaufmann und General werden beide am Boden schlafen, ebenso wie alle anderen. Die Zimmer sind für die Mönche, deren Studien auf keinen Fall gestört werden dürfen.
Sobald sie sich innerhalb des Klosters befanden, bemerkte Wolfram erleichtert, dass Ranessa sich entspannte. Er brachte sie nahe ans Feuer und wies sie an, sich dort zu wärmen, während er eine Decke holte, die er ihr um die Schultern legte. Er hätschelte sie, als wäre sie seine einzige Tochter, die am nächsten Tag heiraten sollte. Er schöpfte ihr einen Becher voll Glühwein und überredete sie dazu, einen Schluck zu trinken. Der Wein brachte wieder ein bisschen Farbe auf ihre Wangen. Sie hörte auf zu zittern, aber sie konnte nichts essen. Zum Glück waren keine anderen Besucher anwesend. Wolfram und Ranessa hatten den riesigen Raum für sich allein.
Nachdem sie den Wein getrunken hatte, legte sich Ranessa auf die Matte und schloss die Augen.
Wolfram wartete, um sich zu überzeugen, dass sie auch wirklich eingeschlafen war, dann ging er ins Versammlungszimmer, um dort seinen Bericht und den silbernen Kasten abzugeben, der Ritter Gustav Hurensohn gehört hatte.
Obwohl es ausgesprochen spät war, waren immer noch einige Schüler und Mönche wach und damit beschäftigt, zu studieren und Abschriften anzufertigen, Fragen anzuhören und Informationen zu geben. Ein Schüler kam lächelnd auf Wolfram zu. Der Zwerg nannte seinen Namen, zeigte den Armreif und wollte gerade sagen, dass er mit einem der Mönche sprechen müsse, und zwar in einer dringenden Angelegenheit, als der Schüler ihn unterbrach.
»Wir haben schon auf Euch gewartet, Wolfram von den Pferdelosen«, sagte er freundlich. »Feuer hat die Anweisung gegeben, dass wir Euch sofort zu ihr schicken sollten.«
»Feuer!«, grunzte Wolfram. »Nun gut.«
Fünf Mönche waren Oberhäupter des Ordens der Hüter der Zeit, ein Mönch für jedes Element und einer für die Leere. Die Oberhäupter des Ordens werden beim Namen des jeweiligen Elements, für das sie stehen, genannt und haben keine eigenen Namen mehr – falls sie überhaupt jemals welche hatten.
Jeder Mönch sieht äußerlich wie ein
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