Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
geschwärzt. Die Sonne, die durch die Buntglasfenster schien, hinterließ bunte Flecken auf dem Boden. Überall im Saal hallten erhobene Stimmen und das Klirren von Stahl wider. Mehrere junge Ritter übten sich in einer Ecke im Schwertkampf, während eine andere Gruppe über Philosophie stritt.
Oder vielleicht, dachte Ulaf, stritten sich die mit den Schwertern ja auch über Philosophie. Er umging beide Gruppen und fragte einen Knappen, der die Schwertkämpfe neidisch beobachtete, ob er Lord Shadamehr gesehen hätte.
»Ich habe gesehen, wie er mit mehreren Seilrollen nach oben ging«, erwiderte der Knappe. Er musste es mehrmals wiederholen, bevor Ulaf ihn über das Getöse hinweg verstehen konnte.
»Welche Treppe hat er benutzt?«, brüllte Ulaf, denn es gab ebenso viele Treppen wie Eingänge, und jede führte zu einem anderen Teil der Burg.
Der Knappe zeigte auf die richtige Treppe. Ulaf ging zum zweiten Stock der Halle hinauf. Selbst nachdem er fünf Jahre lang hier ein und aus gegangen war, passierte es ihm immer noch, dass er sich verlief. Am Ende der Treppe sah er sich um, hielt nach Shadamehr Ausschau und versuchte sich zu orientieren.
Er fand keine Spur von seinem Herrn, aber er erkannte immerhin, wo er sich befand. Dieser Flur führte zu den Privaträumen des Barons. Mehrere seiner alten Freunde hatten ebenfalls ihre Schlafzimmer hier, um in der Nähe zu sein, falls sie gebraucht wurden.
Shadamehrs eigenes Zimmer lag am Ende des Flurs, ein Raum, der vollgestopft war mit Büchern und Truhen voller Seltsamkeiten, die der Burgherr auf seinen Reisen gesammelt hatte. Seine Kleidung lag auf dem Boden verstreut, denn er konnte einfach nie die Zeit finden, irgendetwas wegzuräumen, und er weigerte sich, Diener einzulassen, weil er nicht wollte, dass jemand »hinter ihm aufräumte«.
Shadamehr war ein sehr lebhafter Mensch. Er hatte nicht viel für Schlaf übrig, studierte gern bis tief in die Nacht hinein, und es konnte durchaus passieren, dass er in den stillen, toten Stunden nach Mitternacht an jemandes Tür klopfte, weil er glaubte, die andere Person könnte ihm die Antwort auf eine seiner endlosen Fragen geben.
Das Zimmer von Shadamehrs Verwalter, dem schwer geprüften Rodney, befand sich ebenfalls auf diesem Stockwerk. Ulaf spähte durch die offene Tür, aber Rodney von der Festung, wie man ihn nannte, war nicht in seinem Zimmer, und Ulaf hatte das auch nicht erwartet. Rodney war verantwortlich für die Verwaltung der riesigen Ländereien, und er sah sein Schlafzimmer selten von innen. Oft witzelten die Leute, dass es zwei oder drei Rodneys geben müsse, denn er war immer genau dort zu finden, wo er sein sollte, wann immer man ihn brauchte.
Zwei andere Zimmer auf diesem Stockwerk wurden von Mitgliedern des ehrenwerten Ordens der Magier bewohnt. Ein Zimmer gehörte Rigiswald, der Shadamehrs Lehrer gewesen war, als der Baron noch jung war, und der nun als sein Berater diente. Ein gepflegter älterer Herr mit einem fein säuberlich geschnittenen, sehr schwarzen Bart, auf den er sehr stolz war und den die meisten für gefärbt hielten, war dieser alte Mann mit seiner scharfen Zunge die gefürchtetste Person im Haus. Ulaf konnte nur hoffen, dass sich Shadamehr nicht in Gesellschaft seines alten Lehrers befand, denn dann hätte er die beiden unterbrechen müssen, und obwohl er bei seinen Reisen durch Loerem so manchem Ungeheuer gegenübergestanden hatte, fürchtete er nur wenige Dinge auf der Welt mehr, als von Rigiswald zurechtgewiesen zu werden.
Die Tür des Magiers stand offen. Ulaf spähte vorsichtig hinein. Der säuerliche alte Mann saß in einem Sessel am Feuer und hatte einen Kelch Wein in einer und ein Buch in der anderen Hand. Er war allein. Mit einem erleichterten Seufzer schlich Ulaf an der Tür vorbei.
Das andere Zimmer gehörte Alise, einem weiteren Mitglied des ehrenwerten Ordens der Magier und langjährigen Freundin von Lord Shadamehr. Wenn Rigiswald die gefürchtetste Person des Haushalts war, war Alise die beliebteste. Beinahe jeder Mann, der in Lord Shadamehrs Diensten stand, träumte irgendwann von ihrem feuerroten Haar und ihren leuchtend grünen Augen. Shadamehr war nicht verheiratet, ebenso wenig wie Alise. Es gab viele Spekulationen darüber, ob sie ein Liebespaar waren oder nicht, und man hatte sogar Wetten über diese Angelegenheit abgeschlossen. Niemand hatte die Wette je gewonnen oder verloren, denn falls sie ein Paar waren, gingen sie unglaublich diskret vor. Ulaf glaubte
Weitere Kostenlose Bücher