Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
dazu sagen wird«, sagte Bashae leise.
»Er kann nicht viel sagen«, erwiderte Jessan mit einem Achselzucken. Und damit hatte er Recht. Die Götter hatten gesprochen.
Er bemerkte, dass eine Gruppe von Pecwae auf sie zukam. Einer rief, dass jemand im Lager sich in den Finger geschnitten habe und die Großmutter sich unbedingt darum kümmern müsse. Die Großmutter war allerdings praktischerweise taub geworden. Sie umklammerte ihren Spazierstock und starrte grimmig nach Norden.
»Gehen wir«, sagte Jessan, und damit verließen sie endlich das Dorf.
Als sie an der Grabstätte vorbeikamen, befahl Jessan, dass sie stehen blieben.
»Zeig es ihm«, befahl er.
Bashae trug den Rucksack über einer Schulter. Der Rucksack war so groß und der Pecwae so klein, dass ihm der Lederbeutel gegen die Knie schlug, wenn er sich bewegte. Jessan hatte angeboten, den Rucksack zu tragen, aber Bashae hatte sich geweigert und erklärt, der Ritter hätte ihm den Rucksack überreicht und ihn angewiesen, ihn nicht loszulassen, bis er ihn sicher Lady Damra übergeben hatte.
Bashae hielt den Rucksack hoch. »Ich tue, um was Ihr uns gebeten habt«, rief er.
Das hohe Gras, das den Grabhügel bedeckte, bewegte sich, und die Blätter der Nussbäume, die ihren Schatten auf die Gräber warfen, raschelten und rauschten. Aber das war nur der Wind. Wie immer es auch ausgehen würde – nun waren die Reisenden sich selbst überlassen.
Bringt die Rüstung zum Tempel der Magier in Dunkarga.
Diesen Rat hatte Ritter Gustav Rabenschwinge gegeben, und es war ein weiser Rat gewesen. Aber die Leere mischte sich ein.
Der Hohe Magus im Tempel der Magier in Dunkar wurde für die mächtigste Person im Reich gehalten, mächtiger noch als der König von Dunkarga. Der derzeitige König, ein Mann namens Moross, war ein zutiefst religiöser Mensch. Seine Kritiker flüsterten, dies sei so, weil er froh war, all seinen Kummer den Göttern aufhalsen zu können. »Es liegt in den Händen der Götter« – damit sprach er sich gerne von jeder Verantwortung frei.
Zum Glück für Moross – oder zum Unglück, wie es sich erwies – war der Hohe Magus im Tempel der Magier in Dunkar ein starker, weiser, kluger Mann, der seinen König gern in allen wichtigen Dingen beriet. Der Hohe Magus von Dunkar wurde von allen, die ihn kannten, verehrt. Er war ein strenger, humorloser Mann, der seine hohe Stellung durch schwere Arbeit und Opfer erlangt hatte, und er sah keinen Grund, wieso andere nicht ebenso schwer arbeiten sollten. Er erwartete vollkommene Loyalität und vollkommenen Gehorsam. Die Schüler waren von Angst vor ihm erfüllt, das Volk verehrte ihn, seine Herren respektierten ihn.
Diese Eigenschaften, ebenso wie seine hohe Stellung und der Einfluss, den er über den willensschwachen König Moross von Dunkarga ausübte, hatte den Hohen Magus im Tempel der Magier von Dunkarga zu einem idealen Ziel für die Vrykyl gemacht.
Und so war der Hohe Magus vor einem Jahr von einem Vrykyl namens Shakur getötet worden.
Der älteste und mächtigste Vrykyl, der je in seine schauerliche Existenz gerufen wurde, hatte sein Blutmesser benutzt – ein Messer, das er aus seinem eigenen Knochen hergestellt hatte – um die Seele des Hohen Magus zu stehlen. Shakur ersetzte das Bild seines wirklichen Körpers – das eines widerwärtigen, verfaulenden Leichnams – mit einem Abbild des hohen Magus. Durch diese Hinterhältigkeit war er nun in der besten Position, um Dunkarga zu Fall zu bringen.
Der Kampf zwischen Shakur und dem Hohen Magus war schwer gewesen. Um nicht gegen mächtige Magie ankämpfen zu müssen, hatte Shakur den Hohen Magus im Schlaf erstochen. Der Mann war ohne einen Schrei gestorben, aber seine Seele hatte sich, als sie am Rand der Leere stand, wild dagegen gewehrt, in diesen Abgrund ewiger Finsternis gezerrt zu werden. Die Seele des Hohen Magus hatte versucht, Shakur mit in dieses Nichts zu ziehen, das den Vrykyl ebenso anzog wie entsetzte. Aber da er solche Kämpfe seit über zweihundert Jahren ausfocht, war Shakur siegreich daraus hervorgegangen.
Die Vrykyl stehen dieser Gefahr immer gegenüber, wenn sie eine Seele stehlen, die sie zum Überleben brauchen, denn die Seelen der meisten Opfer werden dagegen ankämpfen, in die Leere gezogen zu werden. Daher wählen die Vrykyl ihre Opfer sorgfältig aus und bevorzugen solche, die nur einen zaghaften Widerstand leisten oder – wie im Fall der Benutzer von Magie der Leere – ihre Seelen bereits der Leere übereignet haben.
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