Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Rabe.
»Warum habt Ihr die Rüstung genommen?«
Rabe zuckte die Achseln. »Ich bin ein Krieger. Die Rüstung sah gut und wertvoll aus. Es wäre eine Schande gewesen, sie liegen zu lassen. Erst später begriff ich…« Er schluckte. »Ich begriff, dass es… so etwas war. Schrecklich. Ich verstand, dass ich einen Fehler gemacht hatte, und brachte sie hierher zu Euch.«
»Ihr habt die Leiche begraben, sagt Ihr. Wie ist dieser so genannte Ritter gestorben?«
»Durch ein Schwert in die Brust. Ihr könnt sehen, wo es durch die Rüstung ging.«
»Seltsam«, murmelte Bruder Ulaf. »Es ist eine so gut gefertigte Rüstung. Ihr habt nichts von dem Kampf gesehen? Ihr habt nichts gehört? Ihr habt niemanden sonst in der Nähe bemerkt?«
»Nein, Magus«, antwortete Rabe. »Das habe ich nicht.« Er wurde langsam ungeduldig. »Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß. Ich habe Euch diese Rüstung gebracht. Macht damit, was Ihr wollt, so lange ich sie nie wieder sehen muss. Gute Nacht.«
Er drehte sich um, taumelte und wäre beinahe gestürzt. Er hielt sich an der Flanke des Pferdes fest, drückte den Kopf an das warme Fell und wartete, bis der Nebel vor seinen Augen verging. Er war sich dessen bewusst, dass der Magus etwas sagte, dass er weitere Fragen stellte, aber Rabe hatte ihm alle Antworten gegeben, die er geben wollte. Er ignorierte die Stimme, und als der Mann es wagte, ihm eine Hand auf die Schulter zu legen, reagierte er mit einem Fauchen, das so wild und furchterregend war, dass der Mann die Hand sofort wieder zurückzog.
Als Rabe schließlich die Kraft fand, den Kopf wieder zu heben, hievte er sich in den Sattel und drängte das Pferd mit einem heiseren Befehl und einem Kniedruck vorwärts. Das Tier war froh, gehorchen zu können, und verließ den Hof mit dem wilden Starren eines Pferdes, das beinahe auf eine zusammengerollte Schlange getreten wäre.
Rabe kümmerte sich nicht sonderlich darum, wohin sie gingen, so lange sie sich vom Tempel und diesem schrecklichen Bündel entfernten. Er sackte über dem Pferdehals zusammen, ohne zu wissen, wo sie waren, er begriff nur vage, wo sie sich befanden. Er lenkte das Pferd instinktiv und erkannte erst, dass das Tier stehen geblieben war, als die Bewegungen aufhörten. Er bemerkte, dass sie vor der Kaserne standen, aber er hatte nicht genug Willenskraft, um abzusteigen, also blieb er zusammengesackt sitzen, den Kopf gesenkt. Er wäre vielleicht so sitzen geblieben bis zum Morgen, wären nicht zwei andere Trevinici vorbeigekommen, die gerade ihren Wachdienst auf den Stadtmauern beendet hatten.
»Hauptmann«, sagte einer und legte die Hand auf Rabes Arm.
»Was?«, grunzte Rabe und öffnete die geröteten Augen.
»Du bist früh wieder da – «
Rabe spürte, wie er aus dem Sattel rutschte, aber er versuchte nicht, seinen Fall aufzuhalten. Er war zu Hause im Trevinici-Lager, unter Freunden, Kameraden. Er war in Sicherheit. Die Last war verschwunden. Er hatte sie abgelegt.
Starke Hände fingen ihn auf, starke Arme wiegten ihn, laute Stimmen riefen nach Hilfe.
Rabe achtete nicht darauf. Endlich konnte er in Frieden schlafen.
Bruder Ulaf stand im Hof und starrte forschend das Bündel an, das nach Magie der Leere stank. In dieser unerwarteten Situation musste er entscheiden, was zu tun war, und er hatte nicht viel Zeit, um zu einem Entschluss zu kommen. Der Pförtner Joseph war ein berüchtigtes Klatschmaul, harmlos, aber er redete gerne, und am Morgen würde der ganze Tempel von den Ereignissen der Nacht wissen. Ulaf bezweifelte nicht, dass die Götter seine Schritte gelenkt hatten, so dass er im rechten Augenblick am Tor vorbeigekommen war. Nun lag es in seiner Verantwortung herauszufinden, was die Götter von ihm erwarteten. Nachdem er sich endlich entschlossen hatte, handelte Ulaf sofort. Er ging zum Torhaus und spähte hinein. Joseph saß auf dem Stuhl, den Kopf gesenkt, als döse er vor sich hin. Ulaf lächelte. Er ließ sich nicht täuschen.
»Joseph«, sagte Ulaf. »Du musst den Hohen Magus wecken.«
Josephs Kopf zuckte hoch, und der Pförtner starrte Ulaf mit weit aufgerissenem Mund an.
»Mach schon«, drängte Ulaf. »Ich übernehme die Verantwortung.«
Joseph zögerte und hoffte, dass Ulaf es sich noch einmal überlegen würde. Ulaf runzelte nur die Stirn, und endlich machte sich Joseph mit betont widerstrebendem Schlurfen und umständlichem Suchen nach der Laterne auf den Weg zum Tempel.
Ulaf sah ihm nach, bis er das Gebäude betreten und die Tür
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