Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
an dieser Hauptstraße war gut bewacht. Als Rabe sich dem Wachhaus näherte, rief er laut, um seine Ankunft anzukündigen. So spät in der Nacht waren nur noch wenige gewöhnliche Reisende unterwegs. Die Wachen würden misstrauisch sein. Tatsächlich erschrak Rabe über das Geräusch seiner eigenen Stimme. Er erkannte sie nicht wieder, und einen Augenblick lang fragte er sich, wer da gerufen hatte.
Die Wachen kamen mit Fackeln heraus, deren helles Licht Rabes verquollenen Augen Schmerzen bereitete. Er blinzelte mit verklebten Lidern und hob eine schützende Hand. Zum Glück kannten ihn die Soldaten. Finstere Blicke wichen freundlichem Lächeln.
»Rabenschwinge!«, sagte einer. »Wir hatten dich nicht so bald erwartet.«
»Verschwinde bloß wieder!«, meinte ein anderer lachend. »Kein Soldat, der noch bei Verstand ist, kehrt zu früh aus dem Urlaub zurück. Am Ende erwarten sie das noch von uns allen!«
»Was bringt dich zu uns zurück?«, fragte ein Dritter und hielt die Fackel über das Bündel. »Geister? Ein Stück Wild?«
»Hände weg!«, fauchte Rabe.
Der Soldat wich verblüfft zurück. »Jawohl!«, sagte er und nahm spöttisch Haltung an. Er warf seinen Kameraden einen fragenden Blick zu.
Rabe konnte ihnen nichts erklären; er war zu müde. »Lasst mich einfach durch«, befahl er.
Die Soldaten taten, was man ihnen gesagt hatte, aber nun waren sie mürrisch und unwillig. Rabe wusste, dass er viel von ihrem Respekt verloren hatte, und das beunruhigte ihn gegen seinen Willen. Es ging ihm schließlich nicht darum, beliebt zu sein. Aber nur zwei Straßen weiter weinte er beinahe bei dem Gedanken, dass sie ihn jetzt alle hassten.
»Ihr Götter!«, sagte er und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Ich werde noch verrückt. So verrückt wie meine Schwester.« Der Gedanke erschreckte ihn, und die Angst riss ihn zurück in die Wirklichkeit. »Nur noch ein bisschen länger. Ein kleines bisschen länger, und wir sind dieses Ding los.«
Er führte das stolpernde Pferd weiter durch die leeren Straßen zum Tempel der Magier.
»Nein«, sagte der Pförtner und spähte durch das Gitter, »das ist unmöglich. Ich kann Euch zu dieser Nachtstunde nicht herein lassen!«
»Dann lasse ich das hier einfach auf der Straße liegen«, erklärte Rabe erbost und hob die geballten Fäuste. Er hielt den letzten Rest seiner geistigen Gesundheit in diesen Fäusten fest. »Und was danach passiert, ist deine Schuld. Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen!« Dann fing jemand an zu brüllen und veranstaltete einen Höllenlärm. Rabe hatte das dumpfe Gefühl, dass er das vielleicht selbst war. »Bei den Göttern, du wirst mich jetzt reinlassen, oder – «
»Was ist denn da los, Pförtner?«, erklang eine andere Stimme.
Einer der Magier aus dem Tempel war gerade über den Hof gegangen und hatte sich, als er Rabes Geschrei hörte, neugierig genähert. »Was soll dieser Lärm? Wir versuchen zu schlafen.«
»Dieser Offizier – «, der Pförtner zeigte durch das Gitter auf Rabe – »besteht darauf, hereinzukommen. Ich habe ihm gesagt, er soll morgen wiederkommen, Bruder Ulaf, aber er weigert sich. Er sagt, es sei dringend, und er will nicht warten.«
»Vielleicht kann ich ihm helfen«, sagte der Magus. »Öffne das Tor und lass ihn herein.«
»Aber die Vorschriften – «
»Auf meine Verantwortung, Pförtner.«
Leise vor sich hin murmelnd öffnete der Pförtner das Tor. Rabe führte sein Pferd mit dem Schlitten, auf dem die schreckliche und seltsame Last lag, in den Tempelhof. Der Pförtner schloss das Tor wieder. Bruder Ulaf wandte sich Rabe mit einem freundlichen Lächeln zu, das ihm allerdings verging, als er den Mann näher betrachtete. »Euch geht es gar nicht gut! Was ist los?«
»Das ist los«, erwiderte Rabe tonlos. Er holte sein Messer heraus und schnitt die Riemen durch, mit denen der Schlitten an das Pferd gebunden war. Die Äste fielen klappernd auf die Pflastersteine. »Kommt her. Dann werdet Ihr schon sehen, was ich meine.«
Bruder Ulaf kam neugierig näher. Er beugte sich über das Bündel und streckte die Hand aus, um es zu berühren. Aber Rabe brauchte den Magier nicht zu warnen. Mit einem Keuchen riss Ulaf die Hand zurück. Entsetzt starrte er Rabe an.
»Es stinkt nach Magie der Leere«, erklärte er streng. »Was ist das?«
»Euer Problem«, erklärte Rabe. »Nicht meins.« Dann packte er die Zügel des Pferdes und wollte gehen.
»Wartet!«, rief Bruder Ulaf.
Er war noch jung, vielleicht Ende
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