Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
ihm nur die Arme entgegengestreckt. Der Wyred hatte leise gelacht.
»Wir hatten also Recht, was dich anging«, hatte der Magier durch die schwarze Seidenmaske geflüstert, welche sein Gesicht verbarg.
Starke Arme umklammerten Griffith fest und sicher, holten ihn aus dem Bett, das er mit seinen Brüdern teilte, und brachten ihn nach Ergil Amdissyn, der so genannten schwebenden Festung der Wyred. Griffith sollte seine Familie über achtzehn Jahre lang nicht Wiedersehen. Als man ihm schließlich gestattete, sie zu besuchen, teilte sein älterer Bruder ihm unverblümt mit, ihr Vater sei froh gewesen, als die Wyred seinen weibischen Sohn gestohlen hatten. Der gleiche ältere Bruder, der nun das Familienoberhaupt war, arrangierte eine Ehe für seinen jüngeren Bruder, machte aber deutlich, dass Griffith im Haus der Familie nicht willkommen war.
Griffith vermisste seine Verwandten nicht. Sie hatten ihm zwei kostbare Geschenke gegeben, sein Leben und Damra, und er hatte es ihnen zurückgezahlt, indem er seinen älteren Bruder vor einem Attentatsversuch bewahrte. Seine Verwandten wussten das selbstverständlich nicht, denn die Wyred wirkten ihre Zauber im Geheimen. Griffith war froh, dass sie es nicht wussten. Es machte viel mehr Spaß zu hören, wie sein Bruder mit seinen Heldentaten prahlte, und insgeheim zu lächeln, weil er, Griffith, wusste, was wirklich geschehen war.
Griffith konnte sich immer noch an den Augenblick erinnern, als er Ergil Amdissyn zum ersten Mal gesehen hatte. Er wusste nicht, wie lange er unterwegs gewesen war, gut behütet von den starken Armen des Wyred, dessen Aufgabe darin bestand, Kinder zu stehlen, die zur Magie begabt waren. Er erinnerte sich daran, dass er geschlafen hatte, aufgewacht und wieder eingeschlafen war, aber ob das ein einziges oder hundert Mal geschehen war, hätte er nicht zu sagen vermocht. Der Wyred und seine Begleiter sprachen nach dieser ersten Bemerkung nicht mehr mit dem Kind, denn als Erstes muss ein junger Magier lernen, der Stille zu lauschen. Und eines Morgens weckten die Wyred Griffith aus dem Schlaf, und einer zeigte mit der schwarz behandschuhten Hand nach oben.
Kein Nicht-Wyred weiß, wo sich Ergil Amdissyn befindet, und die Elfenzauberer müssen bei ihrer Ehre, ihrem Leben und ihrer Freiheit schwören, es niemals zu verraten. Tun sie es dennoch, so bedeutet es den Verlust der Ehre für ihr Haus, den Tod für den Magier und für seine Seele ewige Gefangenschaft im schrecklichen Gefängnis der Toten. Aber es ist nicht Angst, die die Zungen der Wyred über Jahrhunderte hinweg gelähmt hat. Es ist Stolz – Stolz auf sich selbst und auf ihre Arbeit.
Ergil Amdissyn ist eine Festung, die in den Gipfel eines Berges aus weißem Granit gebaut wurde. Angeblich wurde sie von dem legendären Drachenweibchen Radamisstonsun für die Wyred errichtet, als Dank für etwas, das die Magier für sie getan hatten. Radamisstonsun hatte ihre mächtige Erdmagie genutzt, um aus dem Inneren eines Berges eine verborgene und unbezwingbare Festung zu machen.
Ergil Amdissyn schwebt eigentlich nicht, es sieht nur so aus – wie an dem Morgen, als Griffith die Festung im frühen Morgengrauen zum ersten Mal sah. Der Berg mit der Festung erhebt sich hinter einem umwölkten See, der von heißen Quellen gespeist wird, so dass ständig Nebel über ihm liegt. Es kam Griffith so vor, als schwebe die Festung auf einer feurigen Wolke mit rotgoldenem Rand. Er starrte sie voller Ehrfurcht an und hatte das Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein.
Griffith genoss die strenge und auf Gelehrsamkeit ausgerichtete Atmosphäre der Wyredschulen; anders als einige andere Kinder, die nie über ihr Heimweh hinwegkamen. Solche Kinder wurden für gewöhnlich krank, starben schließlich und wurden in der Gruft unter dem Berg begraben. Andere starben bei der Ausbildung, denn sie war anstrengend und gefährlich und zielte darauf ab, die an Geist und Körper Schwachen auszusondern. Jene Jungen und Mädchen, die überlebten, wurden zu den mächtigsten und geschicktesten Magiern in Loerem.
Anders als den Ehrenwerten Brüdern im Tempel der Magier ist die Magie der Leere den Wyred nicht verboten. Die Elfen verabscheuen die Leere zwar, aber sie verstehen auch, dass sie ihren Platz unter den Elementen hat, und sie ermutigen ihre Magier, sich damit zu beschäftigen, um besser dagegen kämpfen zu können. Einigen Wyred – wie Griffith – wird es gestattet, sich intensiv mit der Leere und allem, was damit
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