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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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in Leder eingewickelt und wenigstens einigermaßen gegen den Regen geschützt war.
    Er überquerte die breite Nord-Süd-Straße und sah im flackernden Lichtschein eines Blitzes die Kirche. Seit einigen Wintern, so hatte Nafni erzählt, stand dieses Haus schon in Haithabu. Der König hatte den Bewohnern sogar freigestellt, den seltsamen Glauben anzunehmen. Ein Zugeständnis an die Christen, um mehr Händler in die Stadt zu locken. Die Kirche war aus Holz gebaut und hatte kaum Ähnlichkeit mit jener, in deren Keller sein Buch gelegen hatte. Mit gebeugtem Körper, um nicht vom Gott dieser Christen gesehen zu werden, lief er weiter, dem Westtor entgegen.
    Der Stadtwächter, ein junger Mann mit munteren Augen, blickte ihn verwundert an. »Wo willst du hin?«, fragte er. »Es gibt ein großes Unwetter!«
    »Ich weiß«, antwortete Hakon. Obwohl sie unterschiedliche Dialekte sprachen, verstanden sie einander. »Ich habe etwas Dringendes zu erledigen.«
    »Ohne Umhang? Ohne Pferd und Wagen?«
    Hakon lächelte scheinbar verlegen. »Nun, die Sache ist ein wenig heikel. Ich habe ein Mädchen kennengelernt, von einem der Höfe am Ochsenweg. Ihr Vater … er ist nicht einverstanden, deshalb haben wir uns in einer Scheune verabredet. Sie wartet auf mich.« Er merkte, dass der Wächter immer noch zögerte, und fügte hinzu: »Was würdest du tun, wenn ein hübsches Mädchen auf dich wartet? Sie sitzen lassen und ihr sagen, dass dich der Stadtwächter nicht durchgelassen hat? Sie würde mir niemals glauben. Lass mich gehen!«
    Der junge Mann grinste verständnisvoll und öffnete das Tor. Immerhin hatte er einen Landsmann vor sich, der bestimmt keine bösen Absichten hegte. »Lass dich nicht von ihrem Vater erwischen!«, rief er ihm nach.
    »Keine Bange«, erwiderte Hakon.
    Er wäre froh gewesen, wenn tatsächlich nur ein Mädchen auf ihn gewartet hätte. So ein heimliches Treffen wäre weniger gefährlich gewesen als das, was er vorhatte. Er musste sich verstecken. Vor Ivar und Ingolf, die nichts unversucht lassen würden, um ihn für seine frevelhafte Tat zu bestrafen. Und vor Kolfinn, der spätestens am nächsten Morgen merken würde, dass er verschwunden war, und bestimmt alles daransetzen würde, ihn wieder einzufangen und zu zwingen, sein Eheversprechen einzulösen. Oder ihn mit dem Tod oder der Verbannung zu bestrafen. Wer immer ihn besiegte, würde auch das Buch finden und ihm den einzigen Besitz nehmen, den er wirklich schätzte.
    Im Schatten des mächtigen Danewerks, einer riesigen Befestigungsanlage, die an den Erdwall von Haithabu grenzte und Danmark gegen seine Feinde beschützen sollte, lief er nach Westen, bis er außer Sichtweite des Wachturms war. Der Stadtwächter würde denken, dass er auf den breiten Ochsenweg zulief, der das Land von Norden nach Süden durchquerte und am bequemsten zu begehen war. Erst als der Erdwall der Stadt hinter den Bäumen verschwand, bog er nach Norden ab und floh über einen schmalen Wildpfad.
    Am Rande eines Ackers aus tiefschwarzer Erde ließ ihn ein gewaltiger Donnerschlag zusammenfahren, als hätte Thor einen doppelt so großen Hammer wie sonst durch den Himmel geschleudert. Gleich darauf erhellte ein greller Blitz den Himmel. Aus den vereinzelten Regentropfen, die schwer wie Kiesel auf das Land fielen, wurde strömender Regen. Wahre Sturzbäche rauschten vom Himmel herab und erschwerten ihm die Sicht, ließen sogar den Acker direkt vor seinen Augen wie hinter einen gläsernen Wand verschwinden. Innerhalb weniger Augenblicke waren seine Kleider durchnässt.
    »Das Bucht«, rief Flakon entsetzt. Er hielt beide Hände vor die Brust, um es vor dem Regen zu schützen, und rannte geduckt unter die Bäume eines nahen Waldes. Die weit ausladenden Zweige hielten zumindest einen Teil des Regens und den böigen Wind ab, der mit dem Gewitter gekommen war. Neben einer stämmigen Eiche blieb er stehen. Er versuchte den Regen und die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen. In weiter Ferne glaubte er einen bedrohlichen Schatten zu erkennen. Waren sie ihm schon auf den Fersen?
    Er rannte weiter, stolperte im Unterholz und kam leise fluchend wieder auf die Beine, hielt auf den Waldrand zu, wo es etwas heller war und er besser sehen konnte. Keuchend erreichte er das Ende des Waldes. Er blieb wieder stehen und kniff die Augen gegen das Unwetter zusammen. Im zuckenden Licht eines Blitzes sah er weitere Äcker, frisch gepflügt und von dunklen Furchen durchzogen. Zwischen der umgegrabenen Erde

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