Der Stein der Wikinger
gleich wieder hoch und lachte nur, als Hakon ins Leere schlug.
Keuchend zog Hakon seine Klinge aus dem Schlamm. Er wich den Hieben seines Onkels aus, brachte sein Schwert wieder hoch und blockte ab. Schlamm spritzte nach allen Seiten. »Du hältst dich besser, als ich gedacht habe«, rief Ivar. »War wohl doch nicht alles umsonst, was ich dir gezeigt habe. Weißt du noch? Achte auf die Augen deines Gegners! Habe ich das nicht immer gesagt? Am Blitzen in den Augen deines Feindes erkennst du, was er als Nächstes tun wird.« Kaum hatte er den Satz vollendet, schlug er zu, und Hakon konnte von Glück sagen, dass Ivar leicht ausrutschte und ihn verfehlte.
Hakon sprang zur Seite und zielte auf den Hals seines Gegners, doch Ivar zeigte keine Blöße und war schon wieder zum Kampf bereit. Aber sein höhnisches Lachen war verstummt, er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Neffe so erbitterte Gegenwehr leistete. Selbst er litt jetzt unter der Anstrengung des Kampfes. Seine Hände brannten und in seinen Armmuskeln war ein schmerzhaftes Ziehen zu spüren wie nach einer anstrengenden Seeschlacht. Er hatte seinen Neffen unterschätzt. Beinahe fühlte er so etwas wie Stolz, dass ein Mann seiner Sippe so ein guter Kämpfer war.
Hakon brauchte selbst einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen, und blieb geduckt stehen. In weiter Entfernung, in den Nebelfetzen, die über dem Acker hingen, glaubte er eine dunkle Gestalt zu erkennen. Einen Augenaufschlag später war sie schon wieder verschwunden. Ingolf? War er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und seinem Jarl gefolgt? Bekam Hakon es jetzt mit zwei Gegnern zu tun? Und wo war Gunnar, der Mann, der die Kiste ins Wasser gestoßen und ihm das Leben gerettet hatte? Würde auch er für seine Sippe kämpfen?
Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Ivar griff wieder an und versuchte ihn mit drei, vier wuchtigen Hieben zu töten. Seine wütenden Schreie zeigten deutlich, dass er dem Kampf so schnell wie möglich ein Ende machen wollte. Hakon wurde in die Defensive gedrängt, hatte große Mühe, die Schläge abzuwehren. Erst als ihm gelang, seinen Widersacher ins Leere laufen zu lassen, konnte er wieder in die Offensive gehen.
Seine Rechte umfasste das Schwert fester, wurde eins mit der Waffe. An seiner Brust spürte er das Buch. Ein warmer Strom schien von ihm auszugehen und neue Kraft durch seine Adern zu pumpen. Oder war es der scharfe Zaubertrank, den ihm die Alte gegeben hatte? In seinen Gedanken tauchte plötzlich die junge Frau auf, die er in dem Buch gesehen hatte, und lächelte ihn aufmunternd an, und auch ihr Lächeln gab ihm Kraft, lockte einen Schrei auf seine Lippen, der Ivar verstörte und ihn für einen winzigen Moment seine Vorsicht vergessen ließ.
Hakon täuschte einen Hieb auf die Hüfte seines Gegners an, drehte sich in entgegengesetzter Richtung um die eigene Achse und bemerkte das Erstaunen in Ivars Augen. Achte auf die Augen deines Gegners! So hatte sein Lehrmeister gesagt, und jetzt verriet er sich selbst, zeigte Hakon seine Überraschung und seine Unsicherheit. Nur ganz wenig senkte er die Hand mit dem Schwert, genug Raum für Hakon, um auf seinen ungedeckten Hals zu zielen. Ivar war so überrascht und von bisher unbekannter Angst erfüllt, dass er sich fallen ließ, dem Hieb um Haaresbreite entging, aber in einem Reflex den linken Arm hochriss. Die Klinge traf ihn über dem Ellenbogen und trennte den Arm vom Körper.
Eine Blutfontäne schoss aus der offenen Wunde. Ivar stand wie vom Blitz getroffen und starrte ungläubig auf das spritzende Blut, dann auf den abgeschlagenen Arm, der wie ein bleicher Ast im Schlamm lag. Ohne dass er es merkte, glitt das Schwert aus seiner rechten Hand. Noch spürte er keinen Schmerz, nur Verwunderung darüber, dass er gegen einen jungen Mann, der gerade erst seinen ersten Kriegszug hinter sich hatte, verlor. »Was … was hast du getan?«, stammelte er. »Was … was …« Dann verließen ihn die Kräfte, und er sank, immer noch bei Bewusstsein, langsam zu Boden und blieb mit leeren Augen sitzen. »Töte mich!«, sagte er. »Warum tötest du mich nicht?«
Hakon wusste es selbst nicht. Anstatt seinem Todfeind den Kopf abzuschlagen und ihn nach Hel ins Reich der Ungeheuer und Riesen zu schicken, steckte er sein Schwert in die Schlinge zurück und beugte sich zu Ivar hinab. Der Jarl kippte zur Seite und sank stöhnend in den Schlamm, das Gesicht blass vor Schwäche. Hakon öffnete den Gürtel seines Gegners, zog ihn unter
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