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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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stieg und mit erhobenem Schwert näher kam. Direkt vor ihm blieb er stehen. »Stirb, du gemeiner Dieb!«, triumphierte er.
    Er hob beide Hände mit dem Schwert, um ihm den Kopf abzuschlagen, als ein Pfeil heranschwirrte und sich tief in seinen Hals bohrte. Seine Hände mit dem Schwert blieben oben, während sich sein Gesicht ungläubig verzerrte und er mit einem gurgelnden Geräusch auf die Knie ging. Über seine Lippen sprudelte Blut, dann verdrehte er die Augen und starb.
    Hakon stemmte sich vom Boden hoch und blieb schwankend stehen, bis er wieder einigermaßen bei Kräften war. Mit beiden Händen zog er sein Schwert aus dem Schlamm. Als er Schritte hörte, drehte er sich erschrocken um.
    »Hab keine Angst!«, rief der Fremde in der Sprache dieses Landes, die auch Hakon verstand. » Ich habe ihn getötet.« Er hielt seinen Bogen hoch.
    Hakon blickte dem jungen Mann ungläubig entgegen. Er wirkte so unbeschwert wie ein Kind, das gerade sein erstes Kaninchen erlegt hatte. Den toten Ingolf würdigte er keines Blickes. Sein Haar war strohblond und sein Gesicht mit Sommersprossen übersät. Er trug die einfache Kleidung eines Bauern und eine Lederkappe.
    »Warum hast du das getan?«, fragte Hakon ungläubig.
    »Ich mag es nicht, wenn die Chancen ungleich verteilt sind«, antwortete der Jüngling freundlich. Er reichte Hakon die Hand. »Ich bin Olaf, der Sohn des Valgard. Der Hof meines Vaters liegt jenseits der Felder im Norden.«
    Hakon erwiderte den Gruß und stellte sich ebenfalls vor. Nur langsam wich die Benommenheit von ihm. »Bist du … bist du zufällig hier?«
    »Meine Großmutter schickt mich«, antwortete Olaf. »Sie ist sehr weise und wusste, dass du in Schwierigkeiten bist. Sie hat mir aufgetragen, dich auf unseren Hof zu holen. Du sollst dich ausruhen und wieder zu Kräften kommen.«
    Hakon dachte über die Worte des jungen Mannes nach. »Ich kenne deine Großmutter«, erwiderte er. »Du hast recht, sie ist eine sehr weise Frau. Eine Frau wie sie habe ich noch nie gesehen. Ich gehe gern mit dir.«
    »Es ist nicht weit«, sagte Olaf.
    Er wollte sich zum Gehen wenden, doch Hakon hielt ihn zurück. »Der mit dem abgeschlagenen Arm lebt noch. Hilf mir, ihn auf das Pferd zu legen.«
    »Warum hast du ihn nicht getötet?«, fragte Olaf erstaunt.
    »Ich weiß es nicht. Hilfst du mir?«
    »Natürlich. Du hättest ihn töten können.«
    »Ich weiß. Vielleicht stirbt er auch ohne mein Zutun.«
    »Er stirbt ganz bestimmt«, sagte Olaf, als er den verwundeten Jarl im Schlamm liegen sah. Zusammen wuchteten sie ihn auf das Pferd und banden ihn mit einigen Lederschnüren, die der Jüngling aus seiner Tasche zauberte, am Sattel fest. Ivar stöhnte leise, weilte kaum noch unter den Lebenden.
    »Mit so einer Wunde überlebt man nicht«, wiederholte Olaf seine Befürchtung. »Nicht mal meine Großmutter könnte ihn vor dem Tod bewahren.«
    Hakon antwortete nicht. Er schlug dem Pferd aufs Hinterteil und beobachtete ausdruckslos, wie es den verletzten Jarl in die Richtung trug, aus der es gekommen war. Ein undeutliches Gefühl sagte ihm, dass es ein Fehler war, ihn am Leben zu lassen, aber er konnte nicht anders. »Gehen wir«, sagte er dann, »gehen wir zu deiner Großmutter.«

15
    Die Götter waren Hakon gnädig. Sie führten ihn zu einer Sippe von friedlichen und rechtschaffenen Bauern, die hauptsächlich daran interessiert waren, eine gute Ernte einzubringen. Sie waren ebenso geschickte Kämpfer wie die meisten anderen Nordmänner, das hatte Olaf mit seinem Bogen auf eindrucksvolle Weise bewiesen, aber sie hatten den Kampf nicht zu ihrem Lebensziel erklärt und gingen selten auf Raubzüge. Seitdem der König von Danmark den Grenzwall gebaut hatte, brauchten sie keine Feinde zu fürchten.
    Valgard war ein wohlhabender Mann, dessen kantiges Gesicht fast vollständig von einem rotblonden Bart bedeckt wurde. Er hatte den Hof von seinem Vater geerbt und ein zusätzliches Vermögen in Haithabu gemacht, vor allem mit Heu, das in der Stadt dringend gebraucht wurde, aber auch durch den Verkauf von Bernsteinschmuck, den seine Frau und seine Tochter herstellten.
    Die Bewohner des Langhauses wahrten zu Hakon respektvollen Abstand. Sie behandelten ihn freundlich und zuvorkommend, wie einen Gast, der sich in einer Herberge eingemietet hatte, und stellten keine neugierigen Fragen. Nur Valgard sprach öfter mit ihm und dankte ihm dafür, dass er die Sippe so tatkräftig unterstützte. Hakon arbeitete mit den Freien auf den Feldern,

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