Der Stein der Wikinger
dem Körper hervor und schnallte ihn um den blutenden Armstumpf, zog so fest zu, dass der Blutstrom versiegte. Warum er so handelte, wusste er nicht. Er war kein Zauberer und kein Heiler, handelte rein instinktiv, weil er glaubte, seinen Gegner nur so vor dem Verbluten retten zu können. »Warum … warum tust du das, du verdammter …«, flüsterte Ivar, bevor ihn die Schwäche übermannte und er bewusstlos wurde.
Hakon richtete sich auf. Seine Hände waren blutverschmiert und sein Gesicht war gerötet von der Anstrengung des Kampfes. Nur langsam fiel die Anspannung von ihm ab. Er blickte immer noch schwer atmend in die Ferne und sah wieder die Gestalt, nur größer und näher. Tatsächlich: ein Mann auf einem Pferd. Er galoppierte quer über den Acker, kam unaufhörlich näher. Unter den Hufen seines Tieres spritzte Schlamm empor. Ingolf! Noch bevor er sein Gesicht im fahlen Licht des Morgens sehen konnte, erkannte er den Mann, der ihn verraten hatte. Er hatte sich ein Pferd besorgt und war dem Jarl nachgeritten. Mit verzerrtem Gesicht sprengte er ihm entgegen, die Hand mit dem Schwert erhoben.
Obwohl Hakon mit seinem Erscheinen gerechnet und ihm sogar die alte Frau angekündigt hatte, dass er gegen zwei Männer kämpfen müsse, spürte er Furcht in sich aufsteigen. Ein Gefühl, das den meisten Nordmännern fremd zu sein schien. Ein Nordmann stürzte sich stets tollkühn in einen Kampf und zweifelte niemals an seinem Sieg, hatte ein Gefühl wie Angst nicht mal als Kind kennengelernt. Hakon wusste es besser. Im Ozean war ihm vor Angst beinahe übel geworden, und auch jetzt spürte er dieses Gefühl wie die Berührung einer eisigen Hand. Gegen einen berittenen Kämpfer hatte ein Mann zu Fuß nicht die geringste Chance.
Dennoch lief er nicht weg. Ein Nordmann, der sein Ansehen wahren wollte, lief niemals vor einem Kampf davon, und wenn die Chancen, ihn zu gewinnen, noch so gering waren. Wenn er im Kampf starb, würden ihn die Walküren auf Händen nach Walhall tragen, und er würde am Tisch der Götter sitzen und sich auf den großen Kampf gegen die Mächte der Finsternis vorbereiten. Eine Ehre, die nur tapferen Männern zuteilwurde. »Nein, ich habe keine Angst!«, flüsterte er und zog sein blutiges Schwert aus der Schlinge.
Er ging von dem verletzten Ivar weg und bereitete sich auf den Angriff vor. Ingolf würde versuchen ihn über den Haufen zu reiten, darauf hoffen, dass ihn die Hufe seines Pferdes trafen. Dann hätte er leichtes Spiel. Ingolf würde keinen Augenblick zögern, das Schwert in einen Bewusstlosen zu rammen.
Geduckt wie ein Stier, der einen Rivalen ausgemacht hatte, wartete Hakon auf seinen Widersacher. Seine Angst war verflogen und grimmiger Entschlossenheit gewichen. Er würde bis zum letzten Atemzug kämpfen und als ehrenhafter Krieger ins Reich der Götter einziehen. Das Buch an seiner Brust schien alle Erschöpfung aus seinem Körper zu saugen und ihm neue Kraft und frischen Mut zu geben.
Im vollen Galopp sprengte Ingolf auf ihn zu. Der Verräter hatte seinen verletzten Jarl längst gesehen und hielt ihn wahrscheinlich für tot, so wild und ungestüm griff er an. Der Hufschlag seines Pferdes grollte wie dumpfes Donnern über den Acker, vor dem Maul des Tieres hingen weiße Schaumfetzen. In seiner Wut musste er wie ein Dämon geritten sein. Auf der Klinge seines Schwertes blitzten die wenigen Sonnenstrahlen.
Hakon wartete, bis die Vorderhufe des Pferdes kurz davor waren, gegen seine Beine zu schlagen, und warf sich erst dann zur Seite. Er landete im Schlamm, rollte über den weichen Boden und sprang auf, nur um gleich wieder die Hufe des Pferde vor sich zu sehen. Erneut rettete er sich durch einen waghalsigen Hechtsprung. Ihm blieb nur die Verteidigung. Den Reiter anzugreifen war beinahe unmöglich, dazu war Ingolf zu geschickt. Er schien mit dem Pferd vertraut zu sein, lenkte es mit den Oberschenkeln und hatte beide Hände frei, um nach links und rechts mit dem Schwert auszuteilen.
Mit dreckverschmiertem Gesicht sprang Hakon auf. Er verlor für einen Augenblick die Orientierung, wischte sich rasch den Schlamm aus den Augen und sah den mächtigen Brustkorb des Pferdes direkt vor sich. Der Stoß war so hart, dass er mehrere Schritte weit über den Acker geschleudert wurde, wie ein Sack zu Boden prallte und beinahe das Bewusstsein verlor. Sein Schwert glitt ihm aus der Hand und blieb im Schlamm stecken, weit von ihm entfernt.
Er konnte nur schemenhaft erkennen, wie Ingolf aus dem Sattel
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