Der Stein der Wikinger
immer noch verfolgt!«
»Ivar?«
»Nicht der Einarmige«, widersprach sie. »Ihm wirst du erst begegnen, wenn er sich von seiner schweren Verletzung erholt hat. Ich habe gehört, dass er mit den anderen Leute seiner Sippe nach Eisland zurückgefahren ist.«
»Er ist nicht mehr hier?«
Sie reagierte nicht auf die Frage. »Die Männer, die mit dir von den Schafsinseln gekommen sind, suchen nach dir. Ihr Anführer ist sehr wütend. Er will dich für einen Wortbruch und die Demütigung einer jungen Frau bestrafen.«
Hakon fragte sich, woher Solveig das alles wusste. Oder war er schon Tagesgespräch in Haithabu? »Kolfinn«, erklärte er, »der Jarl der Schafsinseln.« Er berichtete, was auf den Inseln passiert war und wie ihn Gunnhild bedrängt hatte. »Ich hatte keine andere Wahl. Sie hätte mich erschlagen.«
»Du hättest sie töten sollen«, sagte die Alte ernst. Und als sie sein entsetztes Gesicht sah: »Ich weiß, dass du nicht dazu fähig gewesen wärst, aber dann hättest du eine Feindin weniger. Sie ist eine starke Frau, nicht wahr? Sie ist stärker als die meisten Männer, die mit ihr an den Rudern sitzen. Nein, mein Sohn, sie wird keine Ruhe geben. Sie wird dich verfolgen und irgendwo zum Kampf stellen, und dann musst du sie töten. Sei auf der Hut, Hakon!« Die weise Frau blickte wieder zur Tür. »Komm«, sagte sie nervös.
»Was hast du, Solveig?«
»Frag nicht! Komm schnell!«
Er stand auf und folgte ihr ins Freie. Die Sonne war untergegangen und Zwielicht lag über den Häusern und Feldern. Außer den beiden Sklaven, die das Futter in den Schweinestall brachten, waren keine Menschen zu sehen. Die Freien waren bereits nach Hause gegangen, und Valgard und seine Verwandten saßen im Langhaus und tranken Beerenwein. Frischer Wind wehte über den Hof und brachte den Geruch von feuchter Erde mit.
»Zwei Fremde kommen«, flüsterte sie.
»Ich höre und sehe nichts.«
»Vertrau mir«, drängte sie ihn. »Noch reiten sie über den Acker, auf dem du Ivar besiegt hast, aber bald werden sie hier sein. Ein starker Mann mit langen Zöpfen und einer Augenklappe. Der zweite Mann trägt ein Stirnband.«
»Kolfinn und Nafni!«, erschrak er.
Solveig deutete über den Hof. »Versteck dich im Lagerhaus neben der Vorratshütte. Warte dort, bis sie wieder weggeritten sind. Hab Geduld.«
Er kannte sie inzwischen gut genug, um den Ernst der Lage zu erkennen. Ohne eine weitere Frage zu stellen, rannte er zum Lagerhaus. Es bestand lediglich aus drei festen Holzwänden und einem strohbedeckten Giebeldach und war an der Stirnseite offen, damit man auch große Karren und Geräte hineinschieben konnte. Er lief an einem zweirädrigen Karren und einem schweren Pflug vorbei und versteckte sich hinter einigen Truhen und Fässern.
Durch einen Spalt in der Wand konnte er den Eingang des Langhauses und den schmalen Fluss sehen, der den Hof von den Äckern und Weiden trennte.
Solveig war im Haus verschwunden, um Valgard auf den Besuch von Kolfinn und Nafni vorzubereiten. Der Jarl erschien kurz darauf vor dem Eingang, er hatte den Hufschlag gehört, der jetzt durch die Nacht klang und das Erscheinen von Reitern ankündigte.
Obwohl Hakon darauf vorbereitet war, blieb ihm beinahe das Herz stehen, als er Kolfinn und Nafni über die Brücke reiten sah. Im Licht des vollen Mondes, der bereits über den Bäumen emporgestiegen war, wirkten ihre Gesichter seltsam bleich, als wären sie aus dem Reich der Toten zurückgekehrt.
Hakon fühlte sein schlechtes Gewissen. Er mochte die beiden Männer. Kolfinn hatte ihn wie einen Sohn aufgenommen, auch wenn er dabei vor allem an sich gedacht hatte, und Nafni hatte ihm wertvolle Hinweise vor dem Kampf gegen Folkmar gegeben. Ohne das geheimnisvolle Buch und seinen Traum wäre er bis ans Ende der Welt mit ihnen gefahren. Dennoch verspürte er nur wenig Skrupel. Denn er war der festen Überzeugung, dass die Götter ihm ein Ziel vorgegeben hatten: das unbekannte Land, das in dem Buch beschrieben wurde. Wenn er die Zeichen doch nur deuten könnte! Er musste dieses Land finden, auch wenn er ein Unrecht begehen oder sein Leben riskieren musste, um es zu erreichen. Gunnhild würde ihn bald vergessen haben. Oder hatte Solveig mit der Vorhersage recht, dass sie blutige Rache nehmen würde?
Die beiden Männer von den Schafsinseln zügelten vor dem wartenden Valgard ihre Pferde. »Seid willkommen«, grüßte Valgard freundlich. »Kommt herein und setzt euch zu uns ans Herdfeuer. Wir haben frischen
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