Der Stein der Wikinger
Mönch zeigen sollte. Vielleicht wusste Bruder Patrick etwas damit anzufangen. Es war ein christliches Buch aus Irland, oder nicht?
Er erwachte vor dem Morgengrauen und sah Bruder Patrick auf dem Boden knien. Mit gefalteten Händen betete der Mönch zu seinem Gott. »Patrick«, sagte Hakon nach einigem Überlegen, »ich möchte dir etwas zeigen.«
Ayasha
19
Ayasha blieb im Sand liegen, bis einige Frauen kamen und sie über die Uferböschung ins Dorf trugen. Der Schmerz kehrte zurück und ließ sie stöhnen. Durch die Schleier, die plötzlich wieder vor ihre Augen traten, erkannte sie, dass sie sich in einem kleinen Dorf befanden. Es gab nur wenige Wigwams, wahrscheinlich das Sommerlager einiger Familien, die vom Fischfang lebten. Vor den Hütten erhoben sich Gerüste mit trocknenden Fischen, und manche Frauen waren so geschäftig, dass sie nicht mal Zeit fanden, sie anzustarren.
Sie wurde in einen Wigwam getragen und auf ein Bärenfell gelegt. Die fremden Frauen streiften ihr das Kleid ab und wuschen sie mit frischem Quellwasser. Ein Mädchen rieb vorsichtig das verkrustete Blut von den Wundrändern und half ihr, sich auf den Bauch zu legen. Sie legten einige Felle über ihren nackten Körper, ließen nur ihre linke Schulter mit der Wunde frei. Eine sagte etwas, das Ayasha nicht verstand, dann verließen sie den Wigwam.
Eine Zeit lang war nur das Stimmengewirr aus dem Dorf zu hören. Die Stimmen der Frauen, die Fische zerlegten, über den offenen Feuern brieten oder über die Gerüste vor den Hütten legten, das Geschrei der Kinder, die zwischen den Wigwams spielten. Hätte sie in einer Hütte ihres Volkes gelegen, wären es die gleichen Geräusche gewesen. Eigentlich seltsam, dass wir Krieg gegeneinander führen, dachte sie, wo wir uns doch so ähnlich sind.
Das Fell vor dem Eingang wurde zur Seite geschoben. Ayasha wandte den Kopf und erblickte einen alten Mann mit weißen Haaren und zahlreichen Falten im Gesicht. Er trug eine Fellkappe mit einem Federkranz aus Truthahnfedern und gefärbten Stachelschweinborsten auf dem Kopf. In seiner Rechten hielt er eine Rassel aus dem Panzer einer kleinen Schildkröte. Er sagte etwas in seiner Sprache, kniete neben ihr nieder und zog eine ebenfalls mit Stachelschweinborsten verzierte Umhängetasche von seiner Schulter.
Ein heiliger Mann, wunderte sie sich, er soll mich gesund machen.
Der Alte nahm ein Stück Zedernrinde aus der Tasche. Er hielt es in die Flammen des kleinen Feuers, das in der Mitte des Wigwams brannte, wartete geduldig, bis es schmorte, hielt die qualmende Rinde über sie und fächelte ihr den Rauch mit einer Hand zu.
Zedernrauch war heilig, auch bei ihrem Volk. Sie atmete ihn tief ein und spürte die besänftigende Wirkung, die er auf sie und ihren Körper ausübte.
Nachdem der Alte etwas Tabak aus einem kleinen Beutel genommen und ins Feuer gestreut hatte, griff er nach der Rassel und schüttelte sie zu einem Lied, das er mit erstaunlich kräftiger Stimme sang. Sie wehrte sich nicht gegen die beruhigende Wirkung, betete ihren Kopf auf das Bärenfell und schloss die Augen. Der rhythmische Gesang trug sie auf den Fluss zurück, hüllte sie in farbigen Nebel und ließ sie noch einmal den riesigen Vogel mit dem rot-weiß gestreiften Gefieder erblicken. Zum betörenden Rasseln des Schildkrötenpanzers glitt er über die sanften Wellen und langsam an ihr vorbei.
Ihre Augen suchten den geheimnisvollen Fremden und sahen ihn erneut an der Reling stehen, einen stolzen und aufrechten Mann. Mit dem Blick aus seinen blauen Augen berührte er ihre Seele.
Heftiges Trommeln riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie erneut den Kopf drehen. Der Alte tanzte und trommelte im Schein des Feuers, rief die Geister seines Volkes an, um sie gesund werden zu lassen. Sie spürte nasse Kräuter auf ihrer Wunde, fühlte sich jetzt schon besser. Oder war es nur der Gedanke an den Mann mit den blauen Augen, der ihr neue Kraft schenkte?
Nachdem der heilige Mann sie verlassen hatte, lag sie tagelang fast allein. Nur zu den Essenszeiten betrat eine Frau ihren Wigwam und brachte ihr Nahrung und zu trinken. Der Alte untersuchte mehrmals die Wunde und brummte stets zufrieden, bevor er ging. Nach ein paar Tagen fühlte sie sich bereits so stark, dass sie aufstehen konnte, doch sobald sie die Fellklappe vor dem Eingang nach außen schob, versperrte ihr ein Krieger den Weg, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als in die Hütte zurückzukehren. Sie war eine Gefangene, immer noch,
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