Der Stein der Wikinger
Frau verschlangen.
Schweißnass erwachte er. Er setzte sich auf, sank gleich wieder zurück und griff sich stöhnend an den Schädel. Ein Verband aus grober Baumwolle war um seinen Kopf, und auch an seinem verrenkten Knöchel spürte er einen dicken Verband. »Wo bin ich? Bei Thor, was soll das?«
Der Mönch kniete neben ihm nieder und lächelte erleichtert. »Gott sei’s gedankt, du bist wieder wach. Du hast sehr lange geschlafen, weißt du das?«
»Wer bist du? Wie kommt es, dass du unsere Sprache sprichst?«
»Ich bin Bruder Patrick«, antwortete der Mönch geduldig. »Und ich beherrsche eure Sprache, weil ich schon sehr lange hier lebe. Ich komme aus Irland, aus dem Kloster Glendalough, und bin hier, um euch den wahren Glauben zu bringen. Lange Zeit durfte ich bei einer Bauernfamilie jenseits der heißen Quellen leben, ohne einen Schaden zu erleiden, aber Ivar der Einarmige will nicht, dass ich den wahren Glauben verbreite, und hat mich vertrieben. Ich soll meinen Brüdern sagen, dass sie in Eisland nicht erwünscht sind.«
»Aber du bist noch hier …«, sagte Hakon.
»Gott will, dass ich hierbleibe. Ich bin in die Einsamkeit gezogen, um Gott meine Demut zu zeigen, wie es in der Bibel steht, in unserem heiligen Buch. Jesus spricht:«, zitierte er. »›Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und schenke es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben.‹« Er schien zu wissen, wie sehr seine Worte den Nordmann verstören mussten, und lächelte aufmunternd. »Ich habe Suppe für dich.«
Erst als Hakon die Schüssel mit der dampfenden Suppe hielt, merkte er, wie ausgehungert er war. Er verschlang alles und grunzte zufrieden, als der Mönch zum Feuer ging und mit einem Stück Rindfleisch zurückkehrte. Nachdem er fertig gegessen hatte, reichte ihm Bruder Patrick einen Becher mit Beerenwein. »Ich habe für dich gebetet, mein Freund«, sagte der Mönch.
»Ich bin nicht dein Freund«, fauchte Hakon aufgebracht. »Sei froh, dass ich dir nicht den Kopf spalte! Mit Pfaffen mache ich sonst kurzen Prozess.«
»Ich habe keine Angst vor dir.«
»Warum nicht?«
»Weil ich mein Schicksal in die Hand Gottes gelegt habe«, antwortete der Mönch. »Er wacht über mich. Wenn er will, dass ich sein irdisches Reich verlasse, werde ich ihm bereitwillig folgen, denn der Wille Gottes ist auch mein Wille, und ich habe gelernt, mich seinen Wünschen zu beugen. Wenn ich so gelebt habe, wie er es mir aufgetragen hat, werde ich das Himmelreich betreten, und meine Seele wird ewig leben im Lichte unseres heiligen Schöpfers.«
»Du sprichst reichlich geschwollen, Pfaffe«, erwiderte Hakon immer noch mürrisch. »Himmelreich … ist das so etwas wie Walhall? Und was soll dieses Gefasel vom ewigen Leben? Glaubt ihr Christen nicht an Ragnarök, den letzten Kampf der Götter gegen die bösen Mächte von Hel? Die tapfersten Krieger werden an der Seite von Odin und Thor in den Kampf ziehen und ihre Schwerter nicht nur gegen Fenrir, den grauen Wolf der dunklen Unterwelt, sondern auch gegen Loki und die Legionen von Hel richten.«
Der Mönch nahm Hakon den leeren Becher ab und stellte ihn auf den Tisch. »Ich kenne die Geschichten eures Volkes«, sagte er, »und ich gebe zu, es sind aufregende Geschichten, die teilweise auch mir gefallen. Aber die Wahrheit liegt in dem Buch, das wir Bibel nennen. Es erzählt von dem wahren Gott, Jesus Christus, der für alle Menschen am Kreuz gestorben ist.« Er berührte das kleine silberne Kreuz, das an einer dünnen Kette um seinen Hals hing.
»Ein Gott, der sich ans Kreuz nageln lässt?«, höhnte Hakon. »Ist er denn zu schwach, um sich seine Feinde vom Hals zu halten? Ist er ein Feigling?«
»Wird der Gott, den ihr Odin nennt, nicht von einem Wolf gefressen? Unser Gott hat die Sünden aller Menschen auf sich genommen, und er ist gestorben, um uns ein ewiges Leben zu ermöglichen. Wenn du willst, erzähle ich dir mehr von ihm, wenn du wieder bei Kräften bist. Schlaf jetzt, mein Sohn.«
Schon wieder diese Anrede, die er schon von Kolfinn auf den Schafsinseln und Valgard aus Danmark gehört hatte. Sah er denn noch so jung aus? So schwach und schutzbedürftig? Glaubte ihm denn niemand, dass er schon viele Feinde getötet hatte? Er hatte den tapferen Folkmar von den Klippen geworfen, und selbst das Unwetter war nicht stark genug gewesen, um ihn in die Knie zu zwingen. Er war Hakon, der Sohn des Knut, und brauchte weder die Hilfe eines Pfaffen noch den Segen eines
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