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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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und nur Kitche Manitu wusste, warum man sie so gut behandelte.
    Der Tag, an dem sie die Wahrheit erfuhr, kündigte sich mit strahlendem Sonnenschein an. Grelles Licht fiel durch den Eingang, als die Fellklappe zur Seite geschoben wurde und die junge Frau ihr das Essen brachte. Lediglich an ihrem betrübten Blick erkannte Ayasha, dass dieser Tag anders als die bisherigen verlaufen würde. Die Frau wartete, bis sie aufgegessen hatte, nahm die leere Schale und blickte sie länger als sonst an, bevor sie etwas tröstlich Klingendes sagte und den Wigwam verließ.
    Doch der Eingang blieb offen und zwei Krieger betraten die Hütte. Sie packten sie an den Armen und zerrten sie ins Freie. Ayasha war viel zu überrascht, um sich zu wehren. Erst als man ihr die Hände auf den Rücken fesselte und der Anführer vor sie trat und seine rußverschmierten Finger an ihren Wangen abwischte, sträubte sie sich, trat wütend um sich und traf einen der Krieger am Schienbein. Er versetzte ihr eine schallende Ohrfeige, die ihren Kopf von links nach rechts warf, handelte sich aber eine scharfe Rüge des Anführers ein, dem es sehr wichtig zu sein schien, dass man sie gut behandelte. »Was habt ihr mit mir vor?«, rief Ayasha wütend. »Was wollt ihr?«
    Der Anführer antwortete in seiner Sprache und lächelte dabei, als würde er ihr in diesem Augenblick einen großen Wunsch erfüllen. Neben ihm tauchte der heilige Mann mit der Schildkrötenrassel auf, tanzte singend um sie herum und berührte sie mit einem Fächer aus Truthahnfedern. Die Krieger, die sie gefesselt hatten, hielten sie an den Schultern fest. Es gab kein Entkommen.
    Der Alte beendete seinen Tanz, und wieder trat der Anführer vor sie. Seine Narbe leuchtete im hellen Sonnenlicht. Immer noch benommen von der Ohrfeige musste Ayasha hilflos erleben, wie er eine Lederschlinge über ihren Kopf warf und so fest anzog, dass sie tief in ihren Hals schnitt und ihr das Atmen erschwerte. Am Lederstrick zog er sie wie einen störrischen Hund davon.
    Sie sträubte sich dagegen, fluchte, schimpfte und schrie, doch ein scharfer Ruck genügte, um ihr das Atmen noch schwerer zu machen und sie zum Schweigen zu bringen. Röchelnd stolperte sie hinter ihm her. Sie hielt mühsam Schritt, wusste genau, dass sie nicht stürzen durfte, weil sich der Strick dann noch enger um ihren Hals zusammenziehen würde. Die Blicke der Dorfbewohner folgten ihr, die meisten schadenfroh, einige bewundernd.
    Vor den Überresten eines Baumes, den der Blitz gespalten hatte, blieb der Anführer stehen. Er knotete den Strick um den Stamm, überprüfte noch einmal den Knoten ihrer Handfesseln und lockerte seltsamerweise die Schlinge um ihren Hals. Mit einem zufriedenen Lächeln kehrte er zum Dorf zurück.
    Ayasha war allein, so allein wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

HAKON
    20
    Hakon zog das Buch unter seinem Wams hervor und wickelte es aus der Robbenhaut. Er zögerte eine Weile, bevor er sich entschloss, es dem Mönch zu geben. Als er sah, mit welcher Ehrfurcht der über den vergoldeten Einband strich und wie seine Augen leuchteten, griff er nach dem Schwert. »Das Buch gehört mir«, drohte er ihm unverhohlen. »Wenn du es mir wegnehmen willst, bringe ich dich um!«
    Bruder Patrick überhörte die Warnung. »Es ist ein sehr wertvolles Buch«, sagte er, während er die Zeichen auf der ersten Seite studierte. »Ich habe davon gehört, aber nie geglaubt, dass es wirklich existiert. Wo hast du es her?«
    »Von einem jungen Pfaffen. Er wollte damit fliehen.«
    »Du hast ihn getötet?«
    »Nein, ich habe ihn nicht getötet. Die Götter wissen warum.«
    »Stand es in einer Bibliothek? Einem Raum mit vielen Büchern?«
    »Nein«, erwiderte Hakon, die Hand immer noch am Schwert. »Es war in einer geheimen Kammer unter der Kirche versteckt.« Er beobachtete den Mönch misstrauisch. »Würdest du viel Silber dafür geben?«
    Bruder Patrick blickte auf, schien gar nicht zu bemerken, dass die Hand des Nordmannes auf dem Schwertgriff lag. »Du willst das Buch verkaufen?«
    »Nein«, antwortete Hakon, »und wenn du mir alles Silber der Welt dafür geben würdest. Es ist sehr wichtig für mich.«
    In die Augen des Mönchs trat ein amüsiertes Funkeln. »Seit wann interessieren sich Nordmänner für Bücher? Kannst du lesen? Beherrschst du die Sprache der Kirche? Warum willst du es unbedingt behalten, mein Sohn?«
    Hakon überlegte angestrengt. Es war ihm zuwider, einem Pfaffen das Geheimnis seines Buches anzuvertrauen. Bruder

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