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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Sonnenmagnetismus. Anscheinend besteht eine statistische Beziehung zwischen der Sonnenaktivität und der Zunahme von Unfällen, Selbstmorden, Herzinfarkten … Soweit ich weiß, war Talich selbst sehr begabt auf diesem Gebiet. Er konnte sogar astronomische Phänomene vorhersagen, wie zum Beispiel eine Eklipse – wohlgemerkt: nicht berechnen, vorhersagen. Aber hier haben wir’s, offengestanden, mit der mystischen Seite seiner Person zu tun, und ich persönlich glaube nicht an diese Geschichten. Mich bringen sie eher zum Lachen.«
    Diane lachte nicht. Vielmehr begann sie einen unvermuteten Aspekt des Falls zu erfassen: Jewgenij Talich, Wunderknabe und Kernfusionsexperte, war außerdem Tsewene, ein Kind der Taiga, und in einer schamanistischen Kultur aufgewachsen, in der paranormale, wissenschaftlich nicht erklärbare Phänomene an der Tagesordnung waren. Mit seiner Entscheidung, Physiker zu werden, hatte er vielleicht die Hoffnung verbunden, solche Phänomene mit rationalen Methoden zu ergründen. Also hatte er sich die herausragendsten Experten auf diesen Gebieten geholt, Rolf van Kaen für die Akupunktur, Philippe Thomas mit seiner besonderen Begabung für Psychokinese, vielleicht noch weitere.
    Diane war überzeugt, dass sie hier zum Kern der ganzen Sache vorgedrungen war. Dieser Spur musste sie nachgehen, musste das Umfeld erforschen, in dem ein solches Projekt möglich gewesen war.
    »Eines verstehe ich nicht«, sagte sie. »Die Ära des Marxismus war doch das Jahrhundert des Materialismus, des absoluten Pragmatismus. Das Jahrhundert, in dem Kirchen geschlossen wurden, in dem die Geschichte nur den allerstrengsten Realismus zuließ. Wie konnten die sowjetischen Kader diese paranormalen Experimente ernst nehmen und womöglich fördern?«
    Kamil sah sie mit misstrauisch gerunzelter Stirn an. »Wieso interessiert Sie das so, die Parapsychologie?«
    »Mich interessiert alles, was mit der sowjetischen Wissenschaft zu tun hat.«
    Der Physiker schien mit dieser Antwort zufrieden. »Über das Verhältnis zwischen Russland und der Parapsychologie könnte man einen Roman schreiben.«
    »Mir reicht die Zusammenfassung.«
    Kamil lehnte sich an die alten Kartons und entspannte sich. Im violetten Licht der Lampen wirkten seine Gesichtszüge noch schärfer. »Sie haben Recht«, sagte er. »Einerseits hat der Kommunismus das pragmatischste, rationalste aller Jahrhunderte begründet. Auf der anderen Seite bleiben die Russen eben Russen und sind als solche tief geprägt und erfüllt von Spiritualität. Nicht nur von der Religion, sondern auch von den altüberlieferten, archaischen Überzeugungen und abergläubischen Ängsten. Zum Beispiel glaubten sie immer, der Sieg von Stalingrad sei durch die schamanistischen Geister der Wolgaregion begünstigt worden. Genauso wie die himmlischen Mächte die Eroberung des Weltraums durch die Sowjetunion unterstützten.« Der junge Mann verschränkte die Arme und fügte mit resignierter Miene hinzu: »Es heißt immer, das sei eben die asiatische Seite unseres Volkes. Schließlich ist der größte Teil unseres Staatsgebiets von der Taiga bedeckt, dem Reich der Geister …«
    »Zwischen Volksglauben und wissenschaftlichen Forschungslabors ist aber ein ziemlicher Spielraum, oder?«, warf Diane ein.
    »Ja. Aber in unserem Land gibt es auch eine wissenschaftliche Tradition der Parapsychologie. Schließlich ist unser berühmtester Nobelpreisträger Iwan Petrowitsch Pawlow, der Entdecker des bedingten Reflexes und Vater der modernen Psychologie. Pawlow ging aber ganz selbstverständlich von der Existenz verschiedener Bewusstseinszustände aus. In den zwanziger Jahren hatte sein Institut sogar eine eigene Abteilung, die sich mit Hellseherei befasste.«
    Kamil schien diesem Thema eine Mischung aus Ironie und Faszination entgegenzubringen: »In den vierziger Jahren hatten die stalinistischen Säuberungsaktionen und der zweite Weltkrieg diesen Forschungszweig komplett ausgelöscht. Aber nach Stalins Tod kam die Parapsychologie auf einmal wieder in Mode, als wäre sie aus dem Denken der Russen nie verschwunden. Ich kann Ihnen eine Anekdote erzählen, in der die Mentalität der sechziger Jahre ziemlich gut zum Ausdruck kommt. Wie gut kennen Sie sich in der russischen Geschichte aus?«
    »Nicht sehr gut.«
    Sein skeptischer Ausdruck war wieder da. »Wissen Sie was über den zweiundzwanzigsten Kongress der Kommunistischen Partei im Jahr 1961?«
    »Nein.«
    »Dabei ist er sehr berühmt! In dem Jahr hat Nikita

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