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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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mehr das Leben dich geweckt und zu dir selber gebracht hat, desto größer ist deine Not geworden, desto tiefer bist du in Leiden, Bangigkeit und Verzweiflung geraten, bis an den Hals, und alles, was du einst Schönes und Heiliges gekannt und geliebt und verehrt hast, all dein einstiger Glaube an die Menschen und an unsre hohe Bestimmung, hat dir nicht helfen können und ist wertlos geworden und in Scherben gegangen. Dein Glaube fand keine Luft mehr zum Atmen. Und Ersticken ist ein harter Tod. Ist es richtig, Harry? Ist das dein Schicksal?»
    Ich nickte, nickte, nickte.
    «Du hattest ein Bild vom Leben in dir, einen Glauben, eine Forderung, du warst zu Taten, Leiden und Opfern bereit — und dann merktest du allmählich, daß die Welt gar keine Taten und Opfer und dergleichen von dir verlangt, daß 130
    das Leben keine heroische Dichtung ist, mit Heldenrollen und dergleichen, sondern eine bürgerliche gute Stube, wo man mit Essen und Trinken, Kaffee und Strickstrumpf, Tarockspiel und Radiomusik vollkommen zufrieden ist. Und wer das andere will und in sich hat, das Heldenhafte und Schöne, die Verehrung der großen Dichter oder die Verehrung der Heiligen, der ist ein Narr und ein Ritter Don Quichotte. Gut. Und mir ist es ebenso gegangen, mein Freund! Ich war ein Mädchen von guten Gaben und dafür bestimmt, nach einem hohen Vorbild zu leben, hohe Forderungen an mich zu stellen, würdige Aufgaben zu erfüllen. Ich konnte ein großes Los auf mich nehmen, die Frau eines Königs sein, die Geliebte eines Revolutionärs, die Schwester eines Genies, die Mutter eines Märtyrers.
    Und das Leben hat mir nur eben erlaubt, eine Kurtisane von leidlich gutem Geschmack zu werden -schon das ist mir schwer genug gemacht worden! So ist es mir gegangen. Ich war eine Weile trostlos, und ich habe lange Zeit die Schuld an mir selber gesucht. Das Leben, dachte ich, muß doch schließlich immer recht haben, und wenn das Leben meine schönen Träume verhöhnte, so dachte ich, es werden eben meine Träume dumm gewesen sein und unrecht gehabt haben. Aber das half gar nichts. Und weil ich gute Augen und Ohren hatte und auch etwas neugierig war, sah ich mir das sogenannte Leben recht genau an, meine Bekannten und Nachbarn, fünfzig und mehr Menschen und Schicksale, und da sah ich, Harry: meine Träume hatten recht gehabt, tausendmal recht, ebenso wie deine. Das Leben aber, die Wirklichkeit, hatte unrecht. Daß eine Frau von meiner Art keine andere Wahl fand, als an einer Schreibmaschine im Dienst eines Geldverdieners ärmlich und sinnlos zu altern, oder einen solchen Geldverdiener um seines Geldes willen zu heiraten, oder aber eine Art von Dirne zu werden, das war ebensowenig richtig, als daß ein Mensch wie du einsam, scheu und verzweifelt nach dem Rasiermesser greifen muß. Bei mir war das Elend vielleicht mehr materiell und mora lisch, bei dir mehr geistig — der Weg war der gleiche. Glaubst du, ich könne deine Angst vor dem Foxtrott, deinen Widerwillen gegen die Bars und Tanzdielen, dein Sichsträuben gegen Jazzmusik und all den Kram nicht verstehen? Allzu gut versteh ich sie, und ebenso deinen Abscheu vor der Politik, deine Trauer über das Geschwätz und verantwortungslose Getue der Parteien, der Presse, deine Verzweiflung über den 131
    Krieg, über den gewesenen und über die kommenden, über die Art, wie man heute denkt, liest, baut, Musik macht, Feste feiert, Bildung betreibt! Recht hast du, Steppenwolf, tausendmal recht, und doch mußt du untergehen. Du bist für diese einfache, bequeme, mit so wenigem zufriedene Welt von heute viel zu anspruchsvoll und hungrig, sie speit dich aus, du hast für sie eine Dimension zuviel. Wer heute leben und seines Lebens froh werden will, der darf kein Mensch sein wie du und ich. Wer statt Gedudel Musik, statt Vergnügen Freude, statt Geld Seele, statt Betrieb echte Arbeit, statt Spielerei echte Leidenschaft verlangt, für den ist diese hübsche Welt hier keine Heimat ...»
    Sie blickte zu Boden und sann.
    «Hermine», rief ich zärtlich, «Schwester, wie gute Augen du hast! Und doch hast du mich den Foxtrott gelehrt! Aber wie meinst du das: daß Menschen wie wir, Menschen mit einer Dimension zuviel, hier nicht leben können? An was liegt das? Ist das nur in unsrer heutigen Zeit so? Oder war das immer?»
    «Ich weiß nicht. Ich will zur Ehre der Welt annehmen, es sei bloß unsere Zeit, es sei bloß eine Krankheit, ein momentanes Unglück. Die Führer arbeiten stramm und erfolgreich auf den nächsten

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