Der Steppenwolf
Temperament so viel Sinnen und Liebesglück als irgend möglich zu erringen, für jede Fähigkeit, für jede Biegung ihrer Linien, jede zarteste Modellierung ihres Körpers beim Liebenden Antwort, Verständnis und lebendiges, beglückendes Gegenspiel zu finden und hervorzuzaubern, dies war ihre Kunst und Aufgabe. Schon bei Jenem ersten schüchternen Tanz mit ihr hatte ich das empfunden, hatte diesen Duft einer genialen, entzückend hochkultivierten Sinnlichkeit gewittert und war von ihr bezaubert gewesen. Gewiß auch war es kein Zufall, daß Hermine, die Allwissende, mir diese Maria zugeführt hatte. Ihr Duft und ihre ganze Signatur war sommerlich, war rosenhaft.
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Ich hatte nicht das Glück, Marias einziger oder bevorzugter Geliebter zu sein, ich war einer von mehreren. Oft hatte sie keine Zeit für mich, manchmal eine Stunde am Nachmittag, wenige Male eine Nacht. Sie wollte kein Geld von mir nehmen, dahinter steckte wohl Hermine. Aber Geschenke nahm sie gerne, und wenn ich ihr etwa ein neues kleines Portemonnaie aus rotlackiertem Leder schenkte, durften auch zwei, drei Goldstücke darin stecken. Übrigens mit dem roten Geldbeutelchen wurde ich von ihr sehr ausgelacht! Es war entzückend, aber es war ein Ladenhüter, verschollene Mode. In diesen Dingen, von welchen ich bisher weniger gewußt und verstanden hatte als von irgendeiner Eskimosprache, lernte ich von Maria viel. Ich lernte vor allem, daß diese kleinen Spielzeuge, Mode und Luxussachen nicht bloß Tand und Kitsch sind und eine Erfindung geldgieriger Fabrikanten und Händler, sondern berechtigt, schön, mannigfaltig, eine kleine oder vielmehr große Welt von Dingen, welche alle den einzigen Zweck haben, der Liebe zu dienen, die Sinne zu verfeinern, die tote Umwelt zu beleben und zauberhaft mit neuen Liebesorganen zu begaben, vom Puder und Parfüm bis zum Tanzschuh, vom Fingerring bis zur Zigarettendose, von der Gürtelschnalle bis zur Handtasche. Diese Tasche war keine Tasche, der Geldbeutel kein Geldbeutel, Blumen keine Blumen, der Fächer kein Fächer, alles war plastisches Material der Liebe, der Magie, der Reizung, war Bote, Schleichhändler, Waffe, Schlachtruf.
Wen Maria eigentlich liebe, darüber dachte ich oftmals nach. Am meisten, glaube ich, liebte sie den Jüngling Pablo vom Saxophon, mit den verlorenen schwarzen Augen und den langen, bleichen, edlen und melancholischen Händen.
Ich hätte diesen Pablo in der Liebe für etwas schläfrig, verwöhnt und passiv gehalten, aber Maria versicherte mir, daß er zwar nur langsam in Glut zu bringen, dann aber gespannter, härter, männlicher und fordernder sei als irgendein Boxer oder Herrenreiter. Und so erfuhr und wußte ich Geheimes über diesen und jenen, vom Jazzmusiker, vom Schauspieler, von manchen Frauen, von Mädchen und Männern unsres Milieus, wußte allerlei Geheimnisse, sah unter der Oberfläche Verbindungen und Feindschaften, wurde langsam (ich, der ich in dieser Welt ein völlig beziehungsloser Fremdkörper gewesen war) vertraut und einbezogen.
Auch über Hermine erfuhr ich viel. Besonders aber kam ich nun häufig mit 125
Herrn Pablo zusammen, den Maria sehr liebte. Zuweilen brauchte sie auch von seinen geheimen Mitteln, auch mir verschaffte sie je und je diese Genüsse, und immer stand Pablo mir mit besonderem Eifer zu Diensten. Einmal sagte er es mir ohne Umschweife: «Sie sind so viel unglücklich, das ist nicht gut, man soll nicht so sein. Tut mir leid. Nehmen Sie leichte Opiumpfeife.» Mein Urteil über diesen frohen, klugen, kindlichen und dabei unergründlichen Menschen änderte sich beständig, wir wurden Freunde, nicht selten nahm ich etwas von seinen Mitteln an. Etwas belustigt sah er meiner Verliebtheit in Maria zu. Einmal veranstaltete er ein «Fest» auf seinem Zimmer, der Mansarde eines Vorstadthotels. Es gab dort nur einen Stuhl, Maria und ich mußten auf dem Bett sitzen. Er gab uns zu trinken, einen aus drei Fläschchen zusammengegossenen, geheimnisvollen, wunderbaren Likör. Und dann, als ich sehr guter Laune geworden war, schlug er uns leuchtenden Auges vor, eine Liebesorgie zu dreien zu feiern. Ich lehnte brüsk ab, mir war dergleichen nicht möglich, doch schielte ich immerhin einen Augenblick zu Maria hinüber, wie sie sich dazu verhalte, und obwohl sie meiner Ablehnung sofort zustimmte, sah ich doch das Glimmen in ihren Augen und spürte ihr Bedauern über den Verzicht. Pablo war enttäuscht über meine Ablehnung, aber nicht verletzt. «Schade», sagte er,
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