Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
mir Zärtlichkeiten und Spiele zu kosten, die ich als das Letzte an Hingabe empfand.
    «Maria», sagte ich, «du bist heut verschwenderisch wie eine Göttin. Mach uns beide nicht ganz tot, morgen ist doch der Maskenball. Was wirst du morgen für einen Kavalier haben? Ich fürchte, mein liebes Blümchen, es sei ein Märchenprinz und du werdest von ihm entführt und nie mehr zu mir zurückfinden. Du liebst mich heute beinahe so, wie gute Liebende es beim Abschied tun, beim letztenmal.»
    Sie schmiegte die Lippen ganz in mein Ohr und flüsterte:
    «Sprich nicht, Harry! Jedesmal kann das letztemal sein. Wenn Hermine dich nimmt, kommst du nicht mehr zu mir. Vielleicht nimmt sie dich morgen.»
    Nie habe ich das charakteristische Gefühl jener Tage, jene wunderlich bittersüße Doppelstimmung heftiger empfunden als in jener Nacht vor dem Ball.

136
    Es war Glück, was ich empfand: die Schönheit und Hingabe Marias, das Genießen, Betasten, Einatmen von hundert feinen holden Sinnlichkeiten, die ich erst so spät, als alternder Mensch, hatte kennenlernen, das Plätschern in einer sanften, wiegenden Welle von Genuß. Und doch war das nur die Schale: innen war alles voll Bedeutung, Spannung, Schicksal, und während ich liebevoll und zärtlich mit den süßen, rührenden Kleinigkeiten der Liebe beschäftigt war, scheinbar in lauter lauem Glücke schwamm, spürte ich im Herzen, wie mein Schicksal Hals über Kopf nach vorwärts strebte, jagend und schlagend wie ein scheues Roß, dem Abgrund entgegen, dem Sturz entgegen, voll Angst, voll Sehnsucht, voll Hingabe an den Tod. So wie ich noch vor kurzem mich mit Scheu und Furcht gegen den angenehmen Leichtsinn der nur sinnlichen Liebe gewehrt, wie ich vor Marias lachender, sich zu verschenken bereiter Schönheit Angst gespürt hatte, so spürte ich jetzt Angst vor dem Tode — aber eine Angst, welche schon wußte, daß sie bald zu Hingabe und Erlösung werden würde.
    Während wir schweigend in die geschäftigen Spiele unsrer Liebe vertieft waren und einander inniger angehörten als jemals, nahm meine Seele Abschied von Maria, Abschied von alledem, was sie mir bedeutet hatte. Durch sie hatte ich gelernt, noch einmal vor dem Ende mich kindlich dem Spiel der Oberfläche anzuvertrauen, flüchtigste Freuden zu suchen, Kind und Tier zu sein in der Unschuld des Geschlechts — ein Zustand, den ich in meinem früheren Leben nur als seltene Ausnahme gekannt hatte, denn Sinnenleben und Geschlecht hatten für mich fast immer den bittern Beigeschmack von Schuld gehabt, den süßen, aber bangen Geschmack der verbotenen Frucht, vor der ein geistiger Mensch auf der Hut sein muß. Jetzt hatten Hermine und Maria mir diesen Garten in seiner Unschuld gezeigt, dankbar war ich sein Gast gewesen — aber es wurde bald Zeit für mich, weiterzugehen, es war zu hübsch und warm in diesem Garten. Weiter um die Krone des Lebens zu werben, weiter die endlose Schuld des Lebens zu büßen war mir bestimmt. Ein leichtes Leben, eine leichte Liebe, ein leichter Tod
    — das war nichts für mich.
    Aus Andeutungen der Mädchen schloß ich, daß für den Ball morgen, oder im Anschluß an ihn, ganz besondere Genüsse und Ausschweifu ngen geplant waren.
    Vielleicht war dies der Schluß, vielleicht hatte Maria recht mit ihrer Ahnung, und 137
    wir lagen heut zum letztenmal beisammen, vielleicht begann morgen der neue Schicksalsgang? Ich war voll brennender Sehnsucht, voll erstickender Angst, und ich klammerte mich wild an Maria, lief noch einmal flackernd und gierig durch alle Pfade und Dickichte ihres Gartens, verbiß mich noch einmal in die süße Frucht des Paradiesbaumes.
    Den versäumten Schlaf dieser Nacht holte ich am Tage nach. Ich fuhr am Morgen ins Bad, fuhr nach Hause, todmüde, machte mein Schlafzimmer dunkel, fand beim Entkleiden mein Gedicht in der Tasche, vergaß es wieder, legte mich sogleich nieder, vergaß Maria, Hermine und den Maskenball und schlief den ganzen Tag hindurch. Als ich am Abend aufstand, fiel mir erst während des Rasierens wieder ein, daß in einer Stunde schon der Maskenball beginne und ich ein Frackhemd heraussuchen müsse. In guter Laune machte ich mich fertig und ging aus, um zunächst einmal zu essen.
    Es war der erste Maskenball, den ich mitmachen sollte. In frühern Zeiten hatte ich zwar solche Feste je und je besucht, sie zuweilen auch hübsch gefunden, aber ich hatte nicht getanzt und war nur Zuschauer gewesen, und die Begeisterung, mit der ich andre davon hatte erzählen, sich

Weitere Kostenlose Bücher