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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sie auf die Stirn und lehnte ihn Wange an Wange zu mir, geschwisterlich, so blieben wir einen Augenblick. Am liebsten wäre ich so geblieben und heute nicht mehr ausgegangen. Aber für diese Nacht, die letzte vor dem großen Ball, hatte Maria sich mir versprochen.
    Auf dem Wege zu ihr aber dachte ich nicht an Maria, sondern nur an das, was Hermine gesagt hatte. Dies alles waren, so schien mir, vielleicht nicht ihre eigenen Gedanken, sondern die meinigen, die die Hellsichtige gelesen und eingeatmet hatte und die sie mir wiedergab, so daß sie nun Gestalt hatten und neu vor mir standen. Daß sie den Gedanken der Ewigkeit ausgesprochen hatte, besonders dafür war ich ihr in jener Stunde tief dankbar. Ich brauchte ihn, ich konnte ohne ihn nicht leben und auch nicht sterben. Das heilige Jenseits, das Zeitlose, die Welt des ewigen Wertes, der göttlichen Substanz war mir heute von meiner Freundin und Tanzlehrerin wiedergeschenkt worden. Ich mußte an meinen Goethetraum denken, an das Bild des alten Weisen, der so unmenschlich gelacht und seinen unsterblichen Spaß mit mir getrieben hatte. Nun erst verstand ich Goethes Lachen, das Lachen der Unsterblichen. Es war ohne Gegenstand, dies Lachen, es war nur Licht, nur Helligkeit, es war das, was übrigbleibt, wenn 134
    ein echter Mensch durch die Leiden, Laster, Irrtümer, Leidenschaften und Mißverständnisse der Menschen hindurchgegangen und ins Ewige, in den Weltraum durchgestoßen ist. Und die «Ewigkeit» war nichts andres als die Erlösung der Zeit, war gewissermaßen ihre Rückkehr zur Unschuld, ihre Rückverwandlung in den Raum.
    Ich suchte Maria an dem Ort, wo wir an unsern Abenden zu speisen pflegten, doch war sie noch nicht gekommen. In dem stillen Vorstadtkneipchen saß ich wartend am gedeckten Tisch, mit meinen Gedanken noch bei unsrem Gespräch.
    Alle diese Gedanken, die da zwischen Hermine und mir aufgetaucht waren, erschienen mir so tief vertraut, so altbekannt, so aus meiner eigensten Mythologie und Bilderwelt geschöpft! Die Unsterblichen, wie sie im zeitlosen Räume leben, entrückt, Bild geworden und die kristallne Ewigkeit wie Äther um sie gegossen, und die kühle, sternhaft strahlende Heiterkeit dieser außerirdischen Welt — woher denn war dies alles mir so vertraut? Ich sann, und es fielen mir Studie aus Mozarts «Cassations», aus Bachs «Wohltemperiertem Klavier» ein, und überall in dieser Musik schien mir diese kühle sternige Helligkeit zu leuchten, diese Ätherklarheit zu schwingen. Ja, das war es, diese Musik war so etwas wie zu Raum gefrorene Zeit, und über ihr schwang unendlich eine übermenschliche Heiterkeit, ein ewiges göttliches Lachen. Oh, und dazu paßte ja auch der alte Goethe meines Traumes so gut! Und plötzlich hörte ich dies unergründliche Lachen um mich her, hörte die Unsterblichen lachen. Bezaubert saß ich, bezaubert suchte ich aus der Westentasche meinen Bleistift hervor, suchte nach Papier, fand die Weinkarte vor mir liegen, drehte sie um und schrieb auf ihre Rückseite, schrieb Verse, die ich erst ändern Tags in meiner Tasche wiederfand. Sie lauteten:
    Die Unsterblichen
    Immer wieder aus der Erde Tälern Dampft zu uns empor des Lebens Drang, Wilde Not, berauschter Überschwang, Blutiger Rauch von tausend Henkersmählern, Krampf der Lust, Begierde ohne Ende, Mörderhände, Wuchererhände, Beterhände, Angst und lustgepeitschter Menschenschwarm Dunstet schwül und faulig, roh und warm, Atmet Seligkeit und wilde 135
    Brünste, Frißt sich selbst und speit sich wieder aus, Brütet Kriege aus und holde Künste, Schmückt mit Wahn das brennende Freudenhaus, Schlingt und zehrt und hurt sich durch die grellen Jahrmarktsfreuden ihrer Kinderwelt, Hebt für jeden neu sich aus den Wellen, Wie sie jedem einst zu Kot zerfällt.
    Wir dagegen haben uns gefunden
    In des Äthers sterndurchglänztem Eis,
    Kennen keine Tage, keine Stunden,
    Sind nicht Mann noch Weib, nicht jung noch Greis.
    Eure Sünden sind und eure Ängste,
    Euer Mord und eure geilen Wonnen
    Schauspiel uns gleichwie die kreisenden Sonnen,
    Jeder einzige Tag ist uns der längste. Still zu eurem zuckenden Leben nickend, Still in die sich drehenden Sterne blickend Atmen wir des Weltraums Winter ein, Sind befreundet mit dem Himmelsdrachen, Kühl und wandellos ist unser ewiges Sein, Kühl und sternhell unser ewiges Lachen.
    Dann kam Maria, und nach einer heitern Mahlzeit ging ich mit ihr in unser Zimmerchen. Sie war an diesem Abend schöner, wärmer und inniger als je und gab

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